29. April 2020
Auf Facebook teilenAuf Twitter weitersagenArtikel versenden

EuGH zur Arbeitnehmerfreizügigkeit

Anerkennung vom im EU-Ausland erworbenen Berufserfahrung

Der Europäische Gerichtshof hat mit Entscheidung vom 23. April 2020 – Az. C-710/18 festgestellt, dass im Ausland erworbene gleichwertige Berufserfahrungen bei der Einstellung im Rahmen des Gehaltes voll anzuerkennen sind.

Zugrundeliegender Sachverhalt:

Der Entscheidung lag eine Klage einer Lehrerin zugrunde, die in Frankreich 17 Jahre als Lehrerin unterrichtet hatte. Bei ihrer Einstellung in Niedersachsen als Arbeitnehmerin wurden ihr vom Land nach § 16 Abs. 2 TV-L drei Jahre als Berufserfahrung anerkannt, mit der Folge, dass sie ein geringeres Gehalt erhielt, als wenn mehr Erfahrungsjahre anerkannt worden wären.

Die Anerkennung von lediglich drei Jahren erfolgte trotz der Tatsache, dass vom Land Niedersachsen die von der Lehrerin in Frankreich erworbene Berufserfahrung als im Wesentlichen gleichwertig anerkannt wurde. Nach § 16 Abs. 2 TV-L wird die einschlägige Berufserfahrung einer vom Land Niedersachsen eingestellten Person, die bei anderen Arbeitgebern als dieser Gebietskörperschaft erworben wurde, nur teilweise angerechnet.

Wesentliche Entscheidungsgründe:

Der Europäische Gerichtshof hat dazu festgestellt, dass eine nationale Regelung, die nicht alle in einem anderen als dem Herkunftsmitgliedstaat des Wanderarbeitnehmers zurückgelegten gleichwertigen Vordienstzeiten anrechnet, geeignet ist, die Freizügigkeit der Arbeitnehmer unter Verstoß gegen Art. 45 Abs.1 AEUV weniger attraktiv zu machen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 30. September 2003, Köbler, C‑224/01, EU: C:2003:513, Rn. 74, und vom 10. Oktober 2019, Krah, C‑703/17, EU:C:2019:850, Rn. 54).

Ob eine Anerkennung zu erfolgen hat, ist abhängig von den nationalen Vorschriften, die festlegen, ob die bei einer anderen Gebietskörperschaft erworbene Berufserfahrung von der die Rechtsnorm erlassenden Gebietskörperschaft als im Wesentlichen gleichwertige Berufserfahrung wie die bei ihr geleistete anerkannt wird. Nicht relevant darf bei der Entscheidung sein, bei welcher Gebietskörperschaft oder bei welchem EU-Land die im Wesentlich gleichwertige Tätigkeit erbracht wurde.

Davon zu unterschieden sei die nur teilweise Anrechnung von nur einschlägiger Berufserfahrung, die nicht gleichwertig, sondern für die Ausübung der Tätigkeit nützlich ist (Urteil vom 10. Oktober 2019, Krah, C‑703/17, EU:C:2019:850, Rn. 51).

Da im vorliegenden Fall die Erfahrung der Lehrerin vom Land Niedersachsen als der an Schulen des Landes Niedersachsen erworbenen Erfahrung im Wesentlichen gleichwertig angesehen wurde, was den Akten zu entnehmen war, war die Tatsache, dass sie in einem anderen Mitgliedstaat erworben wurde, nicht geeignet, die Begrenzung der Anrechnung zu rechtfertigen.

Aufgrund dessen hat der Europäische Gerichtshof eine Beeinträchtigung der Arbeitnehmerfreizügigkeit unter Verstoß gegen Art. 45 Abs. 1 AEUV angenommen und das Land Niedersachsen verpflichtet, sämtliche von der Lehrerin in Frankreich erbrachten Lehrzeiten bei der Einstufung nach TV-L anzuerkennen.

Einordnung der Entscheidung:

Auch wenn diese Entscheidung ausdrücklich zum TV-L und den dortigen Regelungen erging, könnte sie auch Auswirkungen auf die Anerkennung von Berufserfahrung im Besoldungsbereich des Bundes und der Länder haben, sofern ähnliche Regelungen in den jeweiligen Landesbesoldungsgesetzen zur begrenzten Anrechnung für nicht bei der entsprechenden Gebietskörperschaft erbrachten Berufserfahrung getroffen wurden.

Insofern erwartet der dbb, dass der Bund und die Länder ihre besoldungsrechtlichen Regelungen zur Anerkennung von Berufserfahrungen als relevante Erfahrungszeit für die Prüfung und Festsetzung der berücksichtigungsfähigen Zeiten bei der ersten Stufenfestsetzung zur Bemessung des Grundgehaltes – einschließlich der Beurteilung der Gleichwertigkeit der bei anderen Gebietskörperschaft geleisteten Berufstätigkeiten – im Hinblick auf diese Rechtsprechung überprüfen und rechtskonforme Neuregelungen treffen.

Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die als Anlage beigefügten Entscheidungsgründe Bezug genommen.

Anlage (Link)

zurück