In der Thüringer Gesamtbevölkerung sind lediglich 21,7 % unter 25 Jahre alt, dies liegt unter dem bundesweiten Durchschnitt von 24,4 Prozent. Kein Wunder, denn mit einem Durchschnittsalter von 47,5 Jahren ist Thüringen nach Sachsen-Anhalt das zweitälteste Bundesland Deutschlands (Stand 2022, Erster Lebenslagenbericht junger Menschen in Thüringen, TMBJS, 2024).
Bis zum Jahr 2035 werden circa 385.000 Menschen altersbedingt aus dem Arbeitsleben austreten (ifo Institut Dresden, 2023) – der Fachkräftemangel ist eklatant. Die Thüringer Armutsgefährdungsquote liegt über dem bundesweiten Durchschnitt und vor allem junge Menschen, besonders 18- bis 25-Jährige, sind von Armut betroffen: mit 34,2 % liegt dieser Wert fast 9 Prozentpunkte höher als der bundesweite Durchschnitt (Erster Lebenslagenbericht junger Menschen in Thüringen, TMBJS, 2024).
Die Zukunft für Thüringen sieht demnach düster aus. Hinkommt, dass immer mehr junge Menschen Ostdeutschland verlassen und für gute Arbeitsstellen umziehen. Experten verfolgen die Abwanderung von Menschen im Erwerbsalter aus dem Osten Deutschlands mit Sorgen. So auch der Leipziger Bevölkerungsgeograf Tim Leibert: „Vor allem junge Menschen verlassen den Osten, weil sie dort keine Perspektiven für ein erfolgreiches Leben sehen.“ Laut Ergebnissen des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung verlässt ein Großteil der Thüringer ihre Heimat, im Jahr 2018 blieben lediglich 60 % in ihrer Heimatregion. Lohnanreize und Karrierechancen scheinen hierbei eine bedeutsame Rolle zu spielen. Dies unterstreicht auch ein negatives Pendelsaldo: zahlreiche Thüringer Arbeitskräfte arbeiten in anderen, vor allem westlichen, Bundesländern. Im Jahr 2021 waren dies 58.000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte (ifo Institut Dresden, 2023).
Henry Bernhard kommentiert die Abwanderung aus Ostdeutschland wie folgt: „Neuste Zahlen deuten darauf hin, dass die Abwanderung aus dem Osten zunimmt. Es gehen wieder die jungen Menschen […]. Zur Attraktivität des Westens mit höheren Löhnen, Familien- oder zumindest Landsmannschaftlichen Anschluss kommt die Unattraktivität des Ostens, wo man beschimpft beleidigt oder auch schräg angeschaut wird, weil man etwas anders aussieht, da bleibt man nicht gern.“ (Deutschlandfunk, 19. August 2024, 19:06 Uhr). Diese Vermutung unterstreichen Ergebnisse des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB): Die Alterung, die Abwanderung, vor allem von jungen Frauen, und der damit verbundene Rückgang der weiblichen Bevölkerung stellen eine bislang unterschätzte Bedrohung für eine offene Gesellschaft dar.
Hinzukommen sehr hohe Abwanderungsquoten im ländlichen Raum Thüringens. Vor allem junge Menschen verlassen ländliche Heimatregionen, um in Stadtgebiete zu ziehen (Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, 2021). Katja Salomo, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie der Universität Jena, betont: „Mit zunehmender demografischer Homogenität fühlen sich Menschen gegenüber der (städtischen) Mehrheitsgesellschaft benachteiligt und haben Angst, auf die Verliererseite des Lebens zu geraten.“ Demnach fühlen sich Menschen in ländlichen Regionen, welche von einer hohen Abwanderung und einer alternden Bevölkerung betroffen sind, oft sozial benachteiligt. Diese Einstellung kann wiederum zu verstärkter Demokratieskepsis und fremdenfeindlichen Einstellungen führen (WZB, 2019).
Um junge Menschen im Freistaat Thüringen zu halten, muss die Regierung dementsprechend handeln! Ein Leben im ländlich geprägten Thüringen muss lebenswert sein, dazu gehören eine attraktive Arbeitslandschaft, monetäre Anreize und eine Politik, welche das Vertrauen in die Demokratie stärkt.
Die dbb jugend thüringen sieht das Homeoffice für Berufsgruppen, in denen das Arbeiten von zuhause aus möglich ist, als große Chance, um eine Entkopplung von Arbeits- und Wohnort zu erreichen. So müssten Arbeitnehmende nicht täglich zum Arbeitsort, welcher meist im städtischen Gebiet liegt, pendeln und das Wohnen im ländlichen Raum wäre ohne lange Pendelfahrtzeiten attraktiver. Studienergebnisse zeigen jedoch, dass in vielen Fällen ein Arbeiten aus dem Homeoffice aufgrund von fehlenden durchgängigen digitalen Prozessen (44 %) und fehlenden technischen Endgeräten (27 %) nicht möglich ist. Besonders erschreckend ist, dass 29 % der Befragten den Wiederstand des Vorgesetzten als Grund für ein nicht arbeiten aus dem Homeoffice angaben (Barometer Digitale Verwaltung, next:public, 2023). In Anbetracht des Potentials einer Entkopplung von Wohn- und Arbeitsort und der dadurch entstandenen Freiheit bei der Wahl des Wohnortes muss die Ablehnung gegen das Arbeiten aus dem Homeoffice verhindert werden. Außerdem ist es wichtig, dass die Politik den ländlichen Raum stärker fördert und Homeoffice-Strukturen ausarbeitet.
Außerdem sorgen Lohnunterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland für Unzufriedenheit. Laut Angaben des Statistischen Bundesamtes verdienten Vollzeitbeschäftigte im Osten im Monat 824 € brutto weniger als im Westen (Tagesschau, Stand: 03.04.2024 09:14 Uhr). Auch Thüringen ist ein Niedriglohnland. Hinzu kommt ein Überalterungsproblem und eine mangelhafte Infrastruktur (Schwarzkopf und Hillmann, MDR-Tagesschau, Stand: 31.08.2024 06:00 Uhr). Gründe für die Lohnlücke sind vielschichtig. Wirtschaftswissenschaftler Joachim Ragnitz vom Ifo-Institut in Dresden sieht als Grund kleinere Betriebe, weniger Menschen in Gewerkschaften und weniger Tarifverträge. Der Experte nimmt hierbei die Politik in Schutz und fordert jeden Einzelnen auf, aktiv zu werden: "Man kann natürlich appellieren an ostdeutsche Gewerkschaften, Arbeitgeber und vielleicht auch an die Arbeitnehmer, sich da mehr einzubringen. Aber niemand kann das politisch tatsächlich durchsetzen. Letzten Endes sind es immer Vereinbarungen zwischen dem einzelnen Unternehmen und bestenfalls Gewerkschaften, oder in vielen Fällen Betriebsrat oder einzelnen Arbeitnehmern. Da hat die Politik so gut wie keine Möglichkeit."
Dennoch ist es wichtig, dass politische Entscheidungsträger die Forderungen der Gewerkschaften ernst nehmen. Denn neben monetären Anreizen, sind auch Faktoren wie eine höhere Flexibilität, eine bessere Ausstattung sowie Anerkennung und Wertschätzung wichtig, um Beschäftigte zu halten und zu gewinnen. Thüringen muss für junge Menschen attraktiver werden, damit das Gras auf der anderen Seite eben nicht mehr grüner ist.