04. Juni 2020
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Arbeitszeiterfassung

Neues Urteil sieht Pflicht beim Arbeitgeber

Fast ein Jahr ist seit dem viel beachteten Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Arbeitszeiterfassung vergangen.

In der Aufsehen erregenden Entscheidung vom 14. Mai 2019 (Az. C-55/18),  dem Rechtsgutachten von Prof. Dr. Frank Bayreuther, hatte der EuGH geurteilt, dass die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber dazu verpflichten müssen, ein „objektives, verlässliches und zugängliches System“ zur Erfassung der Arbeitszeit eines jeden Arbeitnehmers einzuführen. Die Entscheidung wurde weit überwiegend als Appell an den Gesetzgeber verstanden, die EU-rechtlichen Vorgaben umzusetzen. Das Arbeitsgericht Emden hat in einem Vergütungsprozess eine unmittelbare Verpflichtung des Arbeitgebers zur Einrichtung eines Arbeitszeiterfassungssystem aufgrund der EU-Grundrechts-Charta angenommen - mit erheblichen Folgen für den Arbeitgeber.

Sachverhalt

Geklagt hatte ein Bauhelfer, der den Beklagten, seinen ehemaligen Arbeitgeber, nach einer mehrwöchigen Tätigkeit unter anderem auf vermeintlich noch ausstehende Vergütung in Anspruch nahm. Der Kläger behauptete, er habe insgesamt 195,05 Stunden gearbeitet. Vergütet hatte der Beklagte allerdings lediglich 183 Stunden.

Der Kläger hatte hinsichtlich der angeblich geleisteten Stunden eigene, handschriftliche Aufzeichnungen („Stundenrapporte“) angefertigt. Der Beklagte setzte dem entgegen, dass die Erfassung der tatsächlichen Arbeitszeit (Arbeitsbeginn und Arbeitsende) mittels eines Bautagebuchs erfolgt sei. Dies war – insofern unstreitig – zusammen mit dem Kläger geschehen.

Entscheidung

Der Kläger war vor dem Arbeitsgericht Emden erfolgreich.

Im Ausgangspunkt legt das Gericht die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast in Überstundenprozessen zugrunde. Nach dieser müsse zunächst der Arbeitnehmer konkret die von ihm geleisteten Arbeitsstunden vortragen. Er müsse darlegen, „an welchen Tagen er von wann bis wann Arbeit geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers zur Arbeit bereitgehalten hat.“ Erst danach obliege es dem Arbeitgeber, sich seinerseits substantiiert zu erklären und darzulegen, welche Arbeiten er dem Arbeitnehmer zugewiesen habe und an welchen Tagen der Arbeitnehmer von wann bis wann diesen Weisungen – ggfs. nicht – nachgekommen sei (sog. sekundäre Darlegungslast). Lasse sich der Arbeitgeber hierauf nicht substantiiert ein, gelte der Sachvortrag des Arbeitnehmers als zugestanden.

Nach Ansicht des Arbeitsgerichts Emden sei der Kläger zunächst seiner Darlegungslast nachgekommen. Der Vortrag des beklagten Arbeitgebers genüge den aufgestellten Anforderungen demgegenüber nicht. Der Beklagte habe nämlich gegen Art. 31 Abs. 2 EU-Grundrechte-Charta verstoßen, indem er kein „objektives, verlässliches und zugängliches“ System zur Arbeitszeiterfassung eingerichtet habe. Die vom Arbeitgeber vorgelegten, gedruckten Auswertungen des Bautagebuchs hielt das Gericht für ungeeignet und nicht ausreichend. Es machte deutlich, dass der Arbeitgeber mangels eines Arbeitszeiterfassungssystems keine objektiven und verlässlichen Daten habe vorlegen können, anhand derer sich die Arbeitszeiten des Klägers nachvollziehen lassen würden.

Nach Auffassung des Arbeitsgerichts Emden traf den Arbeitgeber die Verpflichtung zur Erfassung der Arbeitszeiten aufgrund der unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 31 Abs. 2 der EU-Grundrechte-Charta. Es bedürfe dazu keiner richtlinienkonformen Auslegung des § 16 Abs. 2 ArbZG oder einer Umsetzung durch den deutschen Gesetzgeber. § 16 Abs. 2 ArbZG verpflichtet Arbeitgeber bisher nur, Überstunden und Mehrarbeit sowie Sonn- und Feiertagsarbeit zu erfassen.

Fazit

Soweit ersichtlich handelt es sich um die erste arbeitsgerichtliche Entscheidung, welche sich mit der vielbeachteten Entscheidung des EuGH zur Arbeitszeiterfassung auseinandersetzt. Ob weitere Gerichte sich der Auffassung des Arbeitsgerichts Emden anschließen und eine derartige Verpflichtung ebenso als arbeitsvertragliche Nebenpflicht des Arbeitgebers betrachten, bleibt abzuwarten.

Den ersten Schritt zu einer Neuregelung ist das Bundesarbeitsministerium nun gegangen und hat ein Gutachten erstellen lassen. Dieses zeigt im Detail, warum die aktuellen Regelungen in Deutschland nicht ausreichen, um EU-Recht zu entsprechen. Zudem gibt es Empfehlungen dazu, wie eine gesetzlich vorgeschriebene Erfassung der Arbeitszeit künftig aussehen könnte. Konkret schlägt das Gutachten vor, dass der Arbeitgeber zwar verpflichtet werden soll, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit jeweils am Tag der Arbeitsleistung aufzuzeichnen. Doch diese Pflicht kann er auch an den Arbeitnehmer übertragen, so dass sich dieser selbst darum kümmert, die Aufzeichnungen zu führen – entweder in Papierform oder in Form einer Erfassung in elektronischer Form. Das Gutachten wurde bislang zum Teil heftig kritisiert.

Bereits im Januar 2020 hieß es, dass die Bundesregierung ein Gesetz zur Arbeitszeiterfassung plane.

Arbeitsgericht Emden, Urteil vom 20.02.2020, Az: 2 Ca 94/19 besagt, dass Arbeitgeber bereits jetzt unmittelbar zur Einrichtung eines objektiven, verlässlichen und zugänglichen Zeiterfassungssystems verpflichtet sind.

Der tbb informierte bereits zum EuGH-Urteil - Arbeitgeber müssen Arbeitszeiten erfassen

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