08. Dezember 2022
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BAG-Grundsatzurteil

Arbeitszeit ist zu erfassen! Wichtiges Urteil für die Arbeit der Personalräte!

Die lang erwartete Begründung zum womöglich wichtigsten BAG-Urteil des Jahres 2022 ist veröffentlicht worden. Arbeitgeber sind demnach bereits aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann.

Im September hatte sich das BAG entschieden in einem Fall, bei dem es darum ging, ob Betriebsräte auf die Einführung eines elektrischen Arbeitszeiterfassungssystems pochen können und bei dieser Thematik ein Initiativrecht haben. Das haben sie nicht, entschied das Gericht. Dabei bezog es sich auf das Arbeitsschutzgesetz, was die Entscheidung zu einem Grundsatzurteil machte. Eine betriebliche Mitbestimmung und ein Initiativrecht sei ausgeschlossen, wenn es bereits eine gesetzliche Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung gibt. Und die gebe es in Deutschland. 

Arbeitszeit ist zu erfassen

Aus der Begründung des BAG-Grundsatzurteils ergibt sich nun, dass Arbeitgeber Beginn, Dauer und Ende der Arbeitszeit erfassen müssen. Die bloße Bereitstellung eines Zeiterfassungssystems reicht dabei nicht aus. Denn das BAG lehnte das vom Betriebsrat geltend gemachte Mitbestimmungs- und Initiativrecht mit der Begründung ab, dass insofern bereits eine objektive gesetzliche Handlungspflicht bestehe, die das reklamierte Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates „sperre“.

Der Arbeitgeber entscheidet wie zu erfassen ist

Der EuGH hatte in seiner Entscheidung vom 14. Mai 2019 (C-55/18) festgestellt, dass zum Schutz der Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer ein „objektives, verlässliches und zugängliches“ System einzuführen sei, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete tägliche Arbeitszeit einschließlich der Überstunden gemessen werden könne. Wie das BAG aber feststellte stehen weder die Vertrauensarbeitszeit noch andere flexible Arbeitszeitmodelle dieser Erfassungspflicht entgegen. Der Arbeitgeber sei auch nicht verpflichtet eine bestimmte Form von Zeiterfassungssystem (wie z.B. eine Stechuhr) einzuführen. Vielmehr habe er ein Wahlrecht und könne zwischen verschiedenen Modellen dasjenige wählen, das am besten zu den im Betrieb existierenden Arbeitszeitmodellen passt.

Der Arbeitgeber muss selbst erfassen oder Erfassung auch Überprüfen

Das vom Arbeitgeber geforderte System darf sich – trotz des vom Gerichtshof verwendeten Begriffs der „Messung“ – dabei nicht darauf beschränken, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit (einschließlich der Überstunden) lediglich zu „erheben“. Diese Daten müssen vielmehr auch erfasst und damit aufgezeichnet werden. Anderenfalls wären weder die Lage der täglichen Arbeitszeit noch die Einhaltung der täglichen und der wöchentlichen Höchstarbeitszeiten innerhalb des Bezugszeitraums überprüfbar. Auch eine Kontrolle durch die zuständigen Behörden wäre sonst nicht gewährleistet. Die Pflicht zur Einführung beschränkt sich zudem nicht darauf, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmern ein solches System zur freigestellten Nutzung zur Verfügung stellt. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs muss er hiervon auch tatsächlich Gebrauch machen.

Der Personalrat prüft Einhalten der Gesetze

Für Personalräte bedeutet die Entscheidung des BAG grundsätzlich eine Stärkung ihrer Rechte. Zwar kann die Zeiterfassung nicht auch elektronisch verlangt werden (im Rahmen eines Initiativrechts), da auch der EuGH keine bestimmte Form der Arbeitszeiterfassung vorgegeben hat. Sie haben jedoch darüber zu wachen, dass geltende Gesetze eingehalten werden (§ 68 Abs. 1 Nr. 2 ThürPersVG).  Darunter fällt nach der Rechtsprechung des BAG auch, über § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG, die Pflicht des Arbeitgebers/ Dienstherrn zum Erfassen aller Arbeitszeiten.

Gibt es Ausnahmen?

Nach der Entscheidung des BAG besteht die Verpflichtung des Arbeitgebers, ein Arbeitszeiterfassungssystem einzuführen und zu verwenden, für alle im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 BetrVG.

Von der Verpflichtung zur Arbeitszeit ausgenommen sind nach alle in § 18 Abs. 1 ArbZG genannten Personengruppen. Dies sind

1. leitende Angestellte im Sinne des § 5 Abs. 3 des Betriebsverfassungsgesetzes sowie Chefärzte,

2. Leiter von öffentlichen Dienststellen und deren Vertreter sowie Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst, die zu selbständigen Entscheidungen in Personalangelegenheiten befugt sind,

3. Arbeitnehmer, die in häuslicher Gemeinschaft mit den ihnen anvertrauten Personen zusammenleben und sie eigenverantwortlich erziehen, pflegen oder betreuen,

4. den liturgischen Bereich der Kirchen und der Religionsgemeinschaften.

Was passiert bei Verstößen?

Ein Verstoß gegen § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG in Form der Nichteinführung eines Arbeitszeiterfassungssystems ist nicht unmittelbar bußgeldbewehrt. Allerdings kann die zuständige Arbeitsschutzbehörde in diesem Fall eine vollziehbare Anordnung erlassen, ein Arbeitszeiterfassungssystem einzuführen. Verstößt der Arbeitgeber hiergegen, stellt dies eine Ordnungswidrigkeit dar, die mit einem Bußgeld i.H.v. bis zu EUR 30.000 geahndet werden kann (§ 22 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 ArbSchG).

Bisherige Veröffentlichungen dazu:

https://www.thueringer-beamtenbund.de/aktuelles/news/arbeitgeber-sind-gesetzlich-verpflichtet-arbeitszeit-zu-erfassen/

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