14. September 2022

BAG-Grundsatzurteil

Arbeitgeber sind gesetzlich verpflichtet Arbeitszeit zu erfassen

Arbeitgeber sind nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann schon gesetzlich zum Erfassen aller Arbeitszeiten verpflichtet, so die Begründung des BAG warum der Betriebsrat kein Initiativrecht hat, um in seinem Betrieb ein System zur Zeiterfassung durchzusetzen.

Darum ging es:

Der antragstellende Betriebsrat und die Arbeitgeberinnen, die eine vollstationäre Wohneinrichtung als gemeinsamen Betrieb unterhalten, schlossen im Jahr 2018 eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit. Zeitgleich verhandelten sie über eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeiterfassung. Eine Einigung hierüber kam nicht zustande. Auf Antrag des Betriebsrats setzte das Arbeitsgericht eine Einigungsstelle zum Thema „Abschluss einer Betriebsvereinbarung zur Einführung und Anwendung einer elektronischen Zeiterfassung“ ein. Nachdem die Arbeitgeberinnen deren Zuständigkeit gerügt hatten, leitete der Betriebsrat dieses Beschlussverfahren ein. Er hat die Feststellung begehrt, dass ihm ein Initiativrecht zur Einführung eines elektronischen Zeiterfassungssystems zusteht.

Das Landesarbeitsgericht hat dem Antrag des Betriebsrats stattgegeben.

Die gegen diese Entscheidung gerichtete Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberinnen hatte vor dem Ersten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Der Betriebsrat hat nach § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG in sozialen Angelegenheiten nur mitzubestimmen, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht. Bei unionsrechtskonformer Auslegung von § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG* ist der Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet, die Arbeitszeiten der Arbeitnehmer zu erfassen. Dies schließt ein – ggfs. mithilfe der Einigungsstelle durchsetzbares – Initiativrecht des Betriebsrats zur Einführung eines Systems der Arbeitszeiterfassung aus.

Das sagt das Bundesarbeitsgericht

Die Arbeitgeberinnen des gemeinsamen Betriebs hatten mit ihrer Rechtsbeschwerde gegen diesen Beschluss Erfolg – allerdings zu einem höheren Preis als erwartet: Denn ein Mitbestimmungsrecht bestehe nur deshalb nicht, so das Gericht, weil Arbeitgeber ohnehin gesetzlich zum Erfassen aller Arbeitszeiten verpflichtet sind.

Arbeitgeber sind nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann. Die Pflicht zum Erfassen aller Arbeitszeiten geht dabei über das in Deutschland geltende Recht hinaus. Das BAG begründet dies mit der unionsrechtskonformen Auslegung von § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG - die Vorschrift betrifft die Grundpflicht des Arbeitgebers, für Arbeitsschutzmaßnahmen die Organisation und die nötigen Mittel bereitzustellen.

Nur aufgrund dieser gesetzlichen Pflicht kann der Betriebsrat nicht mithilfe der Einigungsstelle erzwingen, dass der Betrieb ein System zur (elektronischen) Arbeitszeiterfassung einführt. Ein entsprechendes Mitbestimmungsrecht nach § 87 BetrVG bestehe nur, wenn und soweit die betriebliche Angelegenheit nicht schon gesetzlich geregelt ist.

Das Arbeitszeitgesetz sieht bisher es nur in bestimmten Fällen eine Pflicht zur Dokumentation von Arbeitszeiten vor, etwa bei Sonntagsarbeit oder beim Überschreiten der täglichen Höchstarbeitszeit.

 

Was bedeutet das für meine Überstunden?

Das BAG verweist zwar in seiner Pressemitteilung nicht ausdrücklich auf das vor drei Jahren ergangene »Stechuhr-Urteil« des Europäischen Gerichtshofs (EuGH 14.5.2019 – C 55/18), stützt sich aber auf dessen Argumentation: Zeiterfassung ist eine Maßnahme des Arbeits- und Gesundheitsschutzes und muss folglich die gesamte Tages- und Wochenarbeitszeit der Beschäftigten umfassen.

Über die Darlegungslast mit Bezug auf die Arbeitszeit in einem Überstundenprozess hatte das BAG bereits 2019 (Urteil vom 26. Juni 2019- 5 AZR 452/18) geurteilt. Demnach gilt: Wird die Arbeitszeit des Arbeitnehmers (elektronisch) erfasst und zeichnet der Arbeitgeber oder für ihn ein Vorgesetzter des Arbeitnehmers die entsprechenden Arbeitszeitnachweise ab, kann der Arbeitnehmer im Überstundenprozess der ihm obliegenden Darlegungslast für die Leistung von Überstunden schon dadurch genügen, dass er schriftsätzlich die vom Arbeitgeber abgezeichneten Arbeitsstunden und den sich ergebenden Saldo vorträgt.  Die vom Arbeitnehmer vorgetragenen Arbeitsstunden gelten dann als zugestanden soweit nicht der Arbeitgeber substantiiert erwidert, dass, aus welchen Gründen und in welchem Umfang die von ihm oder einem für ihn handelnden Vorgesetzten des Arbeitnehmers abgezeichneten Arbeitsstunden nicht geleistet wurden oder der behauptete Saldo sich durch konkret darzulegenden Freizeitausgleich vermindert hat.

Was bedeutet am Arbeitsplatz/ Dienstort

Für Arbeitgeber, für die eine (elektronische) Zeiterfassung ohnehin bereits zum betrieblichen Alltag gehört, ist die Entscheidung des BAG von eher geringem Interesse.

Wir gehen davon aus, dass das BAG-Grundsatzurteil (1 ABR 22/21) weitreichende Auswirkungen auf die bisher auch in der Verwaltung tausendfach praktizierten Vertrauensarbeitszeitmodelle bis hin zu mobiler Arbeit und Homeoffice haben wird. Nach dem Arbeitszeitgesetz müssen bisher nur Überstunden und Sonntagsarbeit dokumentiert werden, nicht jedoch die gesamte Arbeitszeit.

Für Personalräte bedeutet die Entscheidung des BAG grundsätzlich eine Stärkung ihrer Rechte. Zwar kann die Zeiterfassung nicht auch elektronisch verlangt werden (im Rahmen eines Initiativrechts), da auch der EuGH keine bestimmte Form der Arbeitszeiterfassung vorgegeben hat. Sie haben jedoch darüber zu wachen, dass geltende Gesetze eingehalten werden (§ 68 Abs. 1 Nr. 2 ThürPersVG).  Darunter fällt nach der Rechtsprechung des BAG auch, über § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG, die Pflicht des Arbeitgebers/ Dienstherrn zum Erfassen aller Arbeitszeiten.

 

Quelle

BAG, Urteil vom 13.09.2022, Aktenzeichen 1 ABR 22/21
BAG, Pressemitteilung vom 13.9.2022

BAG, Urteil vom 26. Juni 2019, 5 AZR 452/18

EuGH, Urteil vom 14.05.2019, in der Rechtssache C 55/18

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