20. Oktober 2021
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Gastbeitrag Dr. Torsten Schwan

Wider aller Vernunft. Auch Thüringen steht vor der Verabschiedung einer evident verfassungswidrigen Besoldungsanpassung

Am vergangenen Freitag hat der Thüringer Haushalts- und Finanzausschuss bei Enthaltung der AfD und der FDP (nachträglich ergänzt am 21.10.2021) und Zustimmung aller anderen Parteien dem Landtag empfohlen, den Gesetzentwurf der Landesregierung „Thüringer Gesetz zur Gewährleistung einer verfassungsgemäßen Alimentation sowie über die Gewährleistung einer Anerkennungsleistung für ehemalige angestellten Professoren neuen Rechts“ mit nur noch graduellen materiellen Anpassungen zu verabschieden. (TH-Drs. 7/3575 v. 23.06.2021, vgl. die nur noch graduelle materielle Anpassung der Beschlussempfehlung in TH-Drs. 7/4224 v. 15.10.2021 sowie den TOP 32 der heute beginnenden 60. bis 62 Plenarsitzung.

Das ist für sich genommen nun nichts Ungewöhnliches, jedoch sind zunächst im Rahmen der Anhörung unter anderem der Thüringer Richterbund in seiner Stellungnahme vom 03.09.2021 (S. 1 f., vgl. auch nachfolgend die jeweiligen Stellungnahmen unter https://beteiligtentransparenzdokumentation.thueringer-landtag.de/7-3575), der Verein der Thüringer Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen in seiner Stellungnahme vom 06.09.2021 (S. 1-4), der Thüringer Hochschullehrerbund in seiner Stellungnahme vom 16.08.2021 (S. 2 f.), aber auch der Thüringer Rechnungshof in seiner Stellungnahme vom 31.08.2021, wenn auch etwas verklausuliert (S. 3), sowie nicht zuletzt der Thüringer Beamtenbund in zwei jeweils umfassenden Auseinandersetzungen mit den verfassungsrechtlichen Problematiken am 10.06.2021 sowie 06.09.2021 zu dem Ergebnis gelangt, dass der Gesetzentwurf sowohl in seinem prozeduralen als auch in seinem materiellen Gehalt verfassungswidrig ist.

Zu selben Ergebnis gelangte darüber hinaus ein vom Thüringer Beamtenbund in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten des renommierten Verfassungs- und Besoldungsrechtlers Ulrich Battis, das den Gesetzentwurf sowohl materiell als auch prozedural umfassend bemängelt und ihn am Ende als „unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten äußerst bedenklich“ einstuft, da er mit dem alleinigen Ziel der Kostenminimierung die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts willkürlich nicht beachte, indem er dessen Rechtsprechung offensichtlich „erschöpfend auf Schlupflöcher“ hin analysiere. Wie der Thüringer Beamtenbund, aber auch die Darlegungen zu den willkürlichen Besoldungsanpassungen in Berlin und im Bund kommt auch dieses Gutachten am Ende zu dem Schluss: „In diesem Sinne reiht sich der vorliegende Gesetzentwurf in die Besoldungsgesetzgebung der letzten Jahre ein. Dabei wäre es gerade im Hinblick auf die nunmehr offen eingeräumte Verletzung – um nicht zu sagen: Missachtung – des Anspruchs auf eine amtsangemessene Alimentation geboten, durch eine grundlegende Neuausrichtung der Besoldungspolitik den Beamten, Richtern und Staatsanwälten endlich wieder die verdiente Absicherung und Wertschätzung zu gewähren. Diesem Anspruch wird der vorliegende Gesetzentwurf nicht gerecht.“(https://www.thueringer-beamtenbund.de/aktuelles/news/battis-gutachten-veroeffentlicht/; vgl. zum verfassungswidrigen Gehalt der Besoldungsanpassungen in Berlin und im Bund die betreffenden Beiträge unter https://www.berliner-besoldung.de/, den verfassungswidrigen Gehalt der Alimentation in allen Bundesländern seit spätestens 2008 zeigt Torsten Schwan, Das Alimentationsniveau der Besoldungsgruppe A 2008 bis 2020 – eine „teilweise drastische Abkopplung der Besoldung“ als dauerhafte Wirklichkeit?, in DÖV (demn.)).

Als Folge des Battis-Gutachten dürfte für die Fraktionen aller Parteien schließlich die von Bündnis 90/Die Grünen Mitte Mai in Auftrag gegebene Stellungnahme des wissenschaftlichen Diensts des Thüringer Landtags von maßgeblichen Interesse gewesen sein, die jener Ende August fertiggestellt hat (vgl. Thüringer Landtag Wissenschaftlicher Dienst, Gutachtliche Stellungnahme betreffend die Gewährleistung einer verfassungsgemäßen Alimentation v. 30.08.2021). Da die Stellungnahmen des wissenschaftlichen Diensts spätestens einen Monat, nachdem sie landtagsintern zur Verfügung gestellt worden sind, auf der Internetseite des Landtags zu veröffentlichen sind (§ 125 (2) der Geschäftsordnung des Thüringer Landtags), hätte diese augenscheinlich bereits seit geraumer Zeit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden müssen, was allerdings bis heute nicht geschehen ist.

Die gutachtliche Stellungnahme ist, da eine sachliche Beachtung der bundesverfassungsgerichtlichen Direktiven keine anderen Schlüsse zulässt, zu weitgehend denselben Ergebnissen gelangt wie vormals der Thüringer Beamtenbund und das Battis-Gutachten: Sie weist zunächst nach, dass sich das Thüringer Finanzministerium innerhalb des Gesetzgebungsverfahrens umfassend mit den Folgen einer Erhöhung der Grundgehaltssätze beschäftigt und diese sachlich korrekt als geeignet erkannt habe, um die Amtsangemessenheit und damit Verfassungsmäßigkeit der Alimentation herzustellen, sie dann aber alleinig aus Kostengründen verworfen habe, da das zu Personalkosten von 340 Millionen Euro pro Jahr geführt hätte, was deutlich ausgabenintensiver als der von der Landesregierung schließlich eingeschlagene Weg gewesen wäre, nämlich die Familienzuschläge zu erhöhen, was nach Einschätzung des Finanzministerium mit Mehrkosten von nur 32 Millionen Euro verbunden wäre, die sich durch wenige Veränderungen am Ende auf rund 50 Millionen Euro summiert hätten (S. 15 f.). Danach betrachtet die Stellungnahme in umfassender Auseinandersetzung mit der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts den verfassungsrechtlichen Gehalt der Entscheidung (S. 16-22), zur Heilung des verfassungswidrigen Zustands der Thüringer Besoldung nicht die Grundgehaltssätze, sondern die Familienzuschläge erhöhen zu wollen, und kommt wie vormals der Thüringer Richterbund, der Verein der Thüringer Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen, der Thüringer Rechnungshof, der Thüringer Beamtenbund und das Battis-Gutachten zu dem auf Grundlage der zu beachtenden bundesverfassungsgerichtlichen Judikatur nicht anders möglichen Schluss, dass davon auszugehen sei, „dass die isolierte Anhebung der familienbezogenen Besoldungsbestandteile das besoldungsinterne Abstandgebot […] als eigenständiges Strukturprinzip des Berufsbeamtentums verletzt“ (S. 22 f.), was sie später noch einmal konkretisiert:

„Obgleich das Bundesverfassungsgericht dem Besoldungsgesetzgeber grundsätzlich die Möglichkeit aufzeigt, den gebotenen Mindestabstand zur sozialen Grundsicherung auch durch eine Erhöhung des Familienzuschlags zu gewährleisten, birgt die in dem Gesetzentwurf der Landesregierung vorgesehene signifikante Anhebung der kinder-bezogenen Stufen des Familienzuschlags das nicht unerhebliche verfassungsrechtliche Risiko, dass sich bei unveränderter Höhe der Grundbesoldung das Verhältnis zwischen Grundgehaltssätzen und der von der Besoldungsstufe unabhängigen Alimentation der Familie derart zu Ungunsten der amtsbezogenen Bestandteile der Grundbesoldung verändert, dass der gebotene Abstand zwischen den Besoldungsgruppen insbesondere mit Blick auf kinderreiche Beamte in den unteren Besoldungsgruppen eingeebnet wird. [Absatz] Insofern steht zu besorgen, dass die isolierte Anhebung der familienbezogenen Besoldungsbestandteile das Abstandsgebot als eigenständiges Strukturprinzip des Berufsbeamtentums und Komponente des systeminternen Besoldungsvergleichs im Rahmen des vierten Parameters des vom Bundesverfassungsgericht aufgezeigten Orientierungsrahmen verletzt.“ (S. 24 f.)

Darüber hinaus betrachtet die Stellungnahme ebenfalls wie zuvor bereits der Thüringer Beamtenbund und das Battis-Gutachten den prozeduralen Gehalt des Gesetzentwurfs, um auch hier zum gleichen Schluss zu kommen, nämlich dass der Gesetzentwurf zwar eine eingehende und umfassende Auseinandersetzung mit den bundesverfassungsgerichtlichen Vorgaben vornehme (S. 26 f.), dass aber die Herstellung gerade einer so weitreichenden Entscheidung, nicht die Grundgehaltssätze, sondern nur die Familienzuschläge zu erhöhen, eine umfassende Begründung verlangt hätte, die der Gesetzentwurf jedoch nicht leiste, was allerdings „für eine Prozeduralisierung rechtlich geboten gewesen“ wäre (S. 27). Im Anschluss kritisiert die Stellungnahme wie zuvor auch der Thüringer Beamtenbund und das Battis-Gutachten die verfassungsrechtlich nicht statthafte „Mathematisierung“ des Entwurf, der in unzureichender Art und Weise nur bemüht sei, „eine evidente Sachwidrigkeit zu vermeiden“ (S. 27 f.), damit aber offensichtlich „den mit der Begründungspflicht verfolgten Rationalisierungsgewinn in sein Gegenteil“ verkehre: „Denn dem verfassungsrechtlichen Anspruch an das Gesetzgebungsverfahren ist nicht bereits dadurch Genüge getan, dass der Besoldungsgesetzgeber die Alimentation in den unteren Besoldungsgruppen bis an die Grenze eines – bloß scheinbar – justiziablen Minimums heran angleicht. […] Verwendet der Gesetzgeber die vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Grenzwerte hingegen zur originären Festlegung der Besoldung, verkennt er überdies die gewaltenteilende Kompetenzzuweisung zwischen Legislative und Verfassungsgerichtsbarkeit. […] Indes kann aus der vorliegend gewählten Verfahrensweise, am fiskalpolitischen Ziel der Kostenersparnis ausgerichtet an der Grenze zu einer bereits rechnerisch feststellbaren und mithin in jedem Fall justiziablen Unteralimentation zu operieren, anstatt eine amtsangemessene Besoldung anhand sachgerechter Kriterien zu bemessen, aufgrund des daraus folgenden Verstoßes gegen das Prozeduralisierungsgebot auch jenseits der durch die Rechtsprechung konkret bezifferten Grenzwerte auf eine evident sachwidrige Alimentation geschlossen werden“ (S. 28 f.).

Wie das Battis-Gutachten und zuvor der Thüringer Beamtenbund zeigt folglich auch die Stellungnahme des wissenschaftlichen Diensts den verfassungswidrigen Charakter des Gesetzentwurfs auf, der sich sowohl auf seinen materiellen als auch auf seinen prozeduralen Gehalt erstreckt. Insofern ist in Thüringen mit einiger Spannung auf die entscheidende Sitzung des Haushalts- und Finanzausschusses vom letzten Freitag geblickt worden, in der sich zeigen musste, ob man von Abgeordnetenseite einem wenige Tage zuvor von der Finanzministerin erstellten Schreiben an die Landtagspräsidentin (Vorlage 7/2692), das ein weiteres Mal ihre weitgehende Unkenntnis der Materie offenbarte und das diesen Mangel an Sachkenntnis erneut durch ein unangemessen markiges Auftreten zu kaschieren versuchte, um so die eigene Überforderung verdecken zu wollen, die sich am Ende im willkürlichen Gehalt des Entwurfs zeigt, oder ob man statt eines politischen Offenbarungseids nicht besser doch dem eigenen wissenschaftlichen Dienst vertrauen würde – das auch im Hinblick darauf, dass der Gesetzgeber eine mit der Verfassung unvereinbare Rechtslage weder für die Gegenwart noch für die Vergangenheit fortbestehen lassen darf (BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 22. März1990 – 2 BvL 1/86 –, Rn. 65), sodass bei Verabschiedung des Entwurfs mit erheblichen Mehrkosten für den Landeshaushalt zu rechnen ist, da die Familienzuschläge nicht tabellenwirksam sind, sodass davon auszugehen ist, dass auch jene Beamte, denen nun höhere Familienzuschläge gewährt werden sollen, nach einem Widerspruchsverfahren von den im Anschluss zu gewährenden höheren Grundgehaltssätzen profitieren werden. Denn da in Thüringen auf Grundlage der umfassenden Thematisierung des Gesetzgebungsverfahrens damit gerechnet werden kann, dass ein sehr großer Teil der Beamtinnen und Beamten Widerspruch gegen ihre Besoldung erheben wird, wird dem Land nach dem zu erwartenden harten Aufschlagen beim Bundesverfassungsgericht nichts anderes übrig bleiben, als zu den nun veranlagten jährlichen 50 Millionen Euro noch einmal die eingangs erwähnten 340 Millionen Euro draufzuschlagen: summa summarum werden die jährlichen Kosten sich folglich eher auf rund 400 Millionen und nicht auf 340 Millionen erstrecken, was der Fall wäre, würde man im Thüringer Landtag die Verfassung als Richtschnur betrachten – das Gesetz wird sich also nicht nur als ein politisches, sondern genauso als ein haushälterisches Fiasko erweisen.

Denn der Gesetzentwurf ist am vergangenen Freitag bei Enthaltung der AfD und Zustimmung aller anderen Parteien im Haushalts- und Finanzausschuss des Thüringer Landtags zur Verabschiedung empfohlen worden. In Anbetracht des von den Parteien in Thüringen erzielten Bundestagswahlergebnisses bleibt so am Ende die Frage, was man oder wovon man sich politisch zukünftig noch verabschieden möchte. Letztlich ist nur noch zu hoffen, dass es den übrigen Parteien trotz des desolaten Gesetzentwurfs und der mit ihm einhergehenden verfassungsrechtlichen Bankrotterklärung wenigstens gelingen möge, in der anstehenden Plenarsitzung der Partei um Björn Höcke nicht ein weiteres Mal das Feld für deren bekannte Selbstinszenierung zu bereiten – und in dieser vagen Hoffnung spiegelt sich zugleich die Beschädigung, die mit dem Einbringen eines solchen Entwurfs und der damit einhergehenden Missachtung nicht zuletzt des eigenen wissenschaftlichen Diensts der Verfassungsrealität zufügt wird. Dabei bleibt die Frage, wieso eine Partei wie Bündnis 90/Die Grünen überhaupt den wissenschaftlichen Dienst mit einer Stellungnahme beauftragt hat, von der abzusehen war, dass sie zu keinem anderen Ergebnis kommen konnte, als dem vorliegenden. Neben der Beschädigung der Verfassungsrealität ist so nicht minder eine wissenschaftlich fundierte Politikgestaltung beschädigt worden.

 

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