Gemeinsame Pressemitteilung der GEW Thüringen, tbb, tlv, LSV und LEV vom 23.11.2018
Geld ist kein Problem – Unterrichtsgarantie kann mit Nachtragshaushalt 2019 in Ansätzen erfüllt werden
In einer gemeinsamen Erklärung haben die GEW Thüringen, tbb Thüringen, Thüringer Lehrerverband, Landesschülervertretung Thüringen und Landeselternvertretung Thüringen heute einen Appell an die Thüringer Landesregierung gerichtet, mit einem Nachtragshaushalt dringend benötigte zusätzliche Stellen für Lehrerinnen und Lehrer an staatlichen Schulen einzurichten. Dazu sind statt unattraktiver befristeter Stellen zwingend unbefristete Stellen anzubieten. Nur dadurch kann der Unterrichtsausfall wirksam bekämpft werden und die versprochene Unterrichtsgarantie in Ansätzen umgesetzt werden.
Der Unterrichtsausfall hat sich gegenüber der gleichen Erhebungswoche im September des vergangenen Jahres auf einen Wert von nunmehr durchschnittlich 5,2 Prozent deutlich verschlechtert. Aus Sicht des Bildungsministeriums, der Bildungsgewerkschaften sowie der Eltern- und Schülervertretung zeigen die statistischen Zahlen, dass Lehrereinstellungen weiterhin oberste Priorität haben müssen.
Die Interessenvertreter der Pädagoginnen und Pädagogen, der Schülerinnen und Schüler und der Eltern sind sich darin einig, dass Steuerrekordeinnahmen und Rekordüberschüsse im Thüringer Landeshaushalt eine Finanzierung der zusätzlich dringend benötigten Lehrkräfte möglich machen. Rekordüberschüsse von 583 Millionen Euro im Jahr 2016, von 897 Millionen Euro im Jahr 2017 und ein für 2018 erwarteter Rekordüberschuss von ca. 1 Milliarde Euro müssen auch dafür eingesetzt werden, den vom Bildungsministerium und Gewerkschaften gemeinsam herausgearbeiteten und erkannten Bedarf einer Personalvertretungsreserve (Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen und Erzieher, Sonderpädagogische Fachkräfte) in Höhe von 10 % in Einstellungen umzusetzen. Nur so lässt sich die Unterrichtsgarantie wenigstens teilweise einlösen. Der Eintritt einer Vielzahl an Lehrerinnen und Lehrern in den Ruhestand ist eine Tatsache und erfordert sowohl von Landesregierung als auch Opposition die unbedingte Bereitschaft, die in der Vergangenheit aufgewachsenen als auch perspektivisch zu erwartenden gravierenden Personallücken konsequent und zügig zu schließen.
GEW Thüringen, tbb, tlv, LSV und LEV fordern die Landesregierung deshalb zu einem Nachtragshaushalt 2019 auf, der unbefristete Stellen zusätzlich in den Haushaltsplan aufnimmt.
Im Wettbewerb der Bundesländer um Lehrerinnen und Lehrer sind befristete Stellenangebote wahre Ladenhüter und kaum nachgefragt. Von den im Jahr 2018 ausgeschriebenen 300 befristeten Stellen konnten bis jetzt nur knapp 185 Stellen besetzt werden. Absolventinnen und Absolventen der zweistufigen Lehrerausbildung bekommen in vielen Bundesländern unbefristete Stellen, meist inklusive einer Verbeamtung angeboten. In einer Vielzahl von Fällen reagiert Thüringen darauf noch immer mit unattraktiven befristeten Angeboten. Der Misserfolg an dieser Stelle ist vorprogrammiert, doch leider hat sich bisher die Sparpolitik des Finanzministeriums gegenüber dem tatsächlichen Bedarf und den notwendigen Maßnahmen durchgesetzt. Das muss durch die Schaffung zusätzlicher unbefristeter Stellen im Thüringer Landeshaushalt 2019 unbedingt geändert werden.
Dazu Kathrin Vitzthum, Landesvorsitzende der GEW Thüringen: „Diese Landesregierung hat die Mittel zur Einlösung der Unterrichtsgarantie und nutzt sie nicht. Die Folge sind Lehrermangel und damit Unterrichtsausfall. Das Diktat des Sparens scheint wichtiger als die Ermöglichung von gleichen Bildungschancen für alle Kinder.“
Der tbb-Vorsitzende Helmut Liebermann fordert die Landesregierung auf, sich anderen Landesregierungen anzuschließen und das Vorhaben weiteren Personalabbaus nicht nur zu verschieben, sondern ad acta zu legen. Gute Bildung lässt sich nun mal nicht mit immer weniger Personal gestalten.
Dazu Frank Fritze, stellvertretender Landesvorsitzender des tlv: „Der tlv thüringer lehrerverband warnt bereits seit 2011 vor dem Lehrerkollaps. Inzwischen hat sich die amtierende Regierung die Unterrichtsgarantie auf die Fahnen geschrieben – jedoch leider viel zu spät. Jahrelang haben verschiedene Landesregierungen konsequent am Personalabbaupfad festgehalten. Die Folgen sind bekannt: Unterrichtsausfall, fachfremder Einsatz von Lehrpersonal und in Extremfällen Notenlücken auf den Zeugnissen. Von einer Unterrichtsgarantie sind wir heute weiter entfernt denn je.“
„Die Eltern erwarten von der gesamten Landesregierung, endlich und sofort ausreichende Mittel für die Unterrichtsgewährleistung zur Verfügung zu stellen. Jede fehlende Stunde gefährdet die Zukunft unserer Kinder! Sie sind jetzt in der Schule!“ macht Roul Rommeiß, gemeinsamer Landeselternsprecher, deutlich.
Dazu Benjamin Lewin Mann, Landesschülersprecher: ,,Der Unterrichtsausfall an Thüringer Schulen gefährdet zunehmend unseren Ausbildungserfolg, was zu einer generellen Unzufriedenheit innerhalb der Thüringer Schülerschaft führt. Aus diesem Grund fordern auch wir Schüler eine zukunftsorientierte Einstellungspolitik, damit der Unterrichtsausfall auf ein Minimum begrenzt wird und unsere Ausbildung auch in kommender Zeit gesichert stattfinden kann."
Fallbeispiel 1 - Gymnasium 10 in Erfurt
Silvia Mittmann und Astrid Radefeld, Elternsprecherinnen, über die Situation an ihrer Schule:
„Die Schülerinnen und Schüler der jetzigen 9. Klasse hatten in Klasse 7 keinerlei Chemieunterricht, da noch kein Chemielehrer am Gymnasium war. Der fehlende Chemieunterricht sollte in Klasse 8 nachgeholt werden, was nicht vollständig geschah. Statt der angestrebten 120 Stunden sind nur 40 Stunden erteilt worden. Die Chemielehrerin wurde schwanger und ging im März 2018 in Beschäftigungsverbot, so dass im Schuljahr 2017/2018 kein Chemieunterricht mehr erteilt wurde. Im jetzigen Schuljahr unterrichtet eine abgeordnete Lehrerin 1 Stunde pro Woche. Wir als Eltern fragen uns, wie der Stoff der fehlenden 80 Stunden aufgeholt werden soll und die Schüler auf die Besondere Leistungsfeststellung in Klasse 10 vorbereitet werden sollen. Wir sehen unsere Kinder im Nachteil zu anderen Schülern, besonders auch in Vorbereitung auf das Abitur, die spätere Studienplatzwahl und den beruflichen Werdegang.
Auch unsere jetzige 7. Klasse erhält wiederum keinen Chemieunterricht, was für das nächste Schuljahr Lücken aufreißt. Schlussendlich gibt es große Defizite in den Fächern Ethik, Sport und Englisch an unserem Gymnasium aufgrund von Lehrerausfällen.
Wir Eltern fordern vom Finanzministerium, umgehend finanzielle Mittel bereitzustellen, die eine Lösung unserer Situation herbeiführen bzw. beschleunigen können. Thüringen hat große Finanzüberschüsse, die unbedingt in die Bildung unserer Kinder investiert werden müssen. Wir appellieren an die Landesregierung, ihren Teil der Verpflichtungen in Schule und Bildung wahrzunehmen.“
Fallbeispiel 2 – Regelschule Ellrich
Robert Hoffmann, Elternsprecher, über die Situation an seiner Schule:
„An unsere Schule herrscht seit Jahren ein massiver Lehrermangel, gerade in den naturwissenschaftlichen Fächern. Seit Oktober 2016 findet kein geregelter Chemieunterricht mehr statt. Zurzeit findet in keiner Klassenstufe Chemieunterricht statt. Die Fachlehrer sind dauererkrankt. Eine Nachholung des versäumten Unterrichtsstoffes ist nicht mehr möglich.
Massive Einschnitte gibt es in den Fächern Wirtschaft / Recht / Technik, Biologie und Mathematik. Die Fachlehrer sind auch dauererkrankt. WRT ist ein Profilfach und die Schüler der Klassenstufe 9 benötigen dieses Fach für ihren Abschluss. Dadurch wäre im Moment keine Prüfung möglich.
Für Mathematik steht der Schule eine Lehrerin zur Verfügung. In den Klassenstufen 5, 6 und 7 wird diese Woche zum Beispiel keine Mathematik unterrichtet. Vertretung für diese Stunden erfolgt teilweise fachfremd oder fällt ganz aus. In Fach Physik ist akuter Stundenausfall da sich nur ein Fachlehrer seit 01.11.2018 in Wiedereingliederung befindet.
Durch massiven Ausfall in den naturwissenschaftlichen Fächern ist ein Besuch einer
weiterführenden Schule ab Klasse 10 nicht mehr möglich. Damit ist die Chancengleichheit auf Bildung für unsere Schüler nicht mehr gegeben. Wir Eltern sind seit nunmehr zwei Jahren mit der Problematik beschäftigt und haben weder vom Schulamt, Ministerium oder Bildungsminister Hilfe erfahren. Wir fordern dringend alle Verantwortlichen dazu auf, schnellst möglichst Abhilfe zu schaffen, zu handeln und ihrer Verpflichtung zur Beschulung der Kinder, laut Paragraph 1 Thüringer Schulgesetz nach zu kommen.“
Fallbeispiel 3 – Ernst-Abbe-Gymnasium in Jena
Silviana Günther und Petra Wyrowski, Elternsprecherinnen, über die Situation an ihrer Schule:
„Wir sind mit einem Stundenausfall für die gesamte Schule von mehr als 10 Prozent in das Schuljahr 2018/19 gestartet. Hochgerechnet auf die Schullaufbahn unserer Kinder bedeutet das ein komplett ausgefallenes Schuljahr. Zum Beispiel droht den Lateinschülern der Klasse 6b nach Dezember entweder der zweite Lateinlehrerwechsel für die zweite Fremdsprache in 1,5 Jahren oder aber ein kompletter Ausfall der Lateinstunden ab Januar 2019. Grund ist die befristete Einstellung einer Lateinlehrerin nur bis Ende Dezember 2018, obwohl diese langfristig an der Schule benötigt wird. Es droht mit im Zeitraum Januar bis April 2019 eine unbesetzte Lateinlehrerstelle direkt vor den Abschlussprüfungen in diesem Schuljahr, falls die befristet eingestellte Lateinlehrerin irgendwo anders eine unbefristete Stelle bekommt. Schon jetzt ist bekannt, dass die aus Elternzeit zurückkommende Kollegin nur zu 50 Prozent arbeiten möchte, aber zu mehr als 100 Prozent gebraucht würde.
Auch andere Lehrer zum Beispiel in Musik oder Wirtschaft-Recht fallen in diesem Schuljahr bereits jetzt geplant mehrere Wochen aus. Eine Vertretungsreserve für den Stundenausfall ist nicht in Sicht.“
Für Rückfragen stehen Ihnen zur Verfügung:
tbb: Helmut Liebermann
Landesvorsitzender
Schmidtstedter Straße 9 / 99084 Erfurt
Telefon: 0361 654 75 21
E-Mail: liebermann@dbbth.de
tlv: Frank Fritze
stellv. Landesvorsitzender
Tschaikowskistraße 22 / 99096 Erfurt
Telefon: 0361 302 526 30
Mobil: 0170 605 5913
E-Mail: f.fritze@tlv.de