29. Mai 2020

Zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Öffentlicher Dienst in Thüringen im Klammergriff von Corona und Digitalisierung

Allen Beschäftigten belastet derzeit die außergewöhnliche Situation. Social Distancing, Hygieneschutzmaßnahmen und bundesweite Mund- Nasenschutzmasken prägen das optische Alltagsbild im Frühjahr 2020. Doch welche Konsequenzen zieht der öffentliche Dienst, oder hat der Öffentlicher Dienst bereits wieder Fahrt aufgenommen?

Die COVID-19- Pandemie stellt einen Stresstest für den Föderalismus, für die Verfassung und das menschliche Miteinander dar. Eine solche Situation hat es seit dem Bestehen der Bundesrepublik Deutschland bisher nicht gegeben. Eine bessere Abstimmung wäre sicherlich hilfreich gewesen. Die Grundausrichtung ist jedoch in unserem föderalen Staatsaufbau identisch und einheitlich. In unserem politischen System spielen Machtfragen eine entscheidende Rolle, da wollen oder müssen sich auch „Politiker“ positionieren. Der Föderalismus hat gegenüber dem Zentralismus aber den entscheidenden Vorteil, dass die einzelnen Bundesländer oder Kommunen genau wissen, welche konkreten Maßnahmen sie mit der vorhandenen Infrastruktur vor Ort zielführend einsetzen können. Notwendige Maßnahmen für Thüringen müssen nicht unbedingt für Mecklenburg-Vorpommern gelten oder gar zur Anwendung kommen. Dessen ungeachtet: Die Regelungen verschiedener Länder zum Umgang mit Situationen, auf die unsere Rechtssysteme ganz und gar nicht eingestellt sein konnten, sind zu einem erheblichen Teil bei gleicher Fallgestaltung sehr unterschiedlich.

Der tbb beamtenbund und tarifunion thüringen e.V. (tbb) zieht ein erstes Resümee.

Homeoffice:

Gab es bis Corona nur wenige Beschäftigte im Homeoffice, ist seit den letzten Wochen fast alles möglich. Über frühere Hemmnisse und Ablehnungsgründe wird jetzt weitestgehend großzügig hinweggesehen: Fast jeder, der die Technik bereits hat, durfte ins Homeoffice und für alle anderen wurden – so weit möglich – Lösungen gefunden. Doch weiterhin gilt, es besteht weder eine Pflicht, im Homeoffice zu arbeiten, noch ein Anspruch auf Arbeiten im Homeoffice, wenn dies in keiner Dienstvereinbarung vorgesehen ist. Jedoch benötigen die Beschäftigten im Homeoffice klar definierte Aufgaben und Regeln zur Erreichbarkeit und Möglichkeiten, die Arbeitszeiten flexibel zu gestalten, wenn z. B. Kinder zu betreuen sind. Hier sind nach wie vor die Personalräte gefragt, ihre Mitentscheidungsmöglichkeiten einzusetzen. Derzeit hat der Beschäftigte mehr Raum, selbst zu entscheiden. Die Eigenverantwortung bei der Entscheidung wechselt derzeit vom Chef zum Mitarbeiter. Doch welche Auswirkungen hat Homeoffice tatsächlich auf das dienstherrenrechtliche Direktionsrecht und auf die Verantwortlichkeit für die Arbeitsergebnisse auf Beschäftigtenseite, die teils unter hoher Belastung durch die Kinderbetreuung zustande kommen. Auch hier müssen klare Regelungen größtenteils noch gefunden werden. Hier kann sich das in Thüringen seit letztem Jahr geltende neue Personalvertretungsgesetz und die neugeschaffene Allzuständigkeit beweisen. Im neuen Alltag im Homeoffice müssen wir schmerzhaft feststellen, wo überall die technischen Voraussetzungen dazu fehlen. Ein grundsätzliches Umdenken zu mobilen Geräten ist angezeigt. Damit echtes Homeoffice für alle möglich ist und sich neue Kommunikationswege wie Video- und Telefonkonferenzen dauerhaft etablieren und neue Arbeitsstrukturen aus einem Mix vom Präsenz vor Ort und Homeoffice durchsetzen.

Digitalisierung:

Wir erkennen aktuell deutlich, wie wir aufgrund föderaler Strukturen in der Entwicklung und Umsetzung in unterschiedlicher Geschwindigkeit gehen. Nicht zuletzt zeigen sich große Defizite zwischen Industrie und Öffentlichen Dienst, aber auch zwischen ländlichen- und urbanen Raum. Die Digitalisierung im öffentlichen Dienst befindet sich im Dornröschenschlaf. Die Nutzung der Videokonferenzen ist inflationär. Die Grenzen finden wir jedoch schon wieder in den Überlastungen der Leitungen oder in der fehlenden Technik oder Software. Die Verbesserung der Infrastruktur muss jetzt angegangen und forciert werden. Wir benötigen eine Datenbandbreite in den Dienststellen und im allgemeinen öffentlichen privaten Zugang, der es technisch ermöglicht, auch große Datenmengen dauerhaft und sicher im Sinne des Datenschutzes transportieren zu können. Ein massiver Ausbau der Netzkapazitäten mit gesicherten Datenverbindungen in der Thüringer Landes- und Kommunalverwaltung (TOKEN u.ä.) ist zu schaffen. Entsprechende Investitionen sind in Größenordnung durch Nachtragshaushalt und zukünftige Haushalte zu planen und zu sichern.

Personal im Öffentlichen Dienst:

Die Krise zeigt auf, dass viele Bereich im öffentlichen Dienst unterbesetzt sind. Hier zeigt sich der jahrelange Sparkurs bzw. die Probleme in bestimmten Bereichen Personal zu finden. Insbesondere in den Gesundheitsämtern zeigt sich der Mangel nun besonders. Die bisherigen Empfehlungen von 1 Mitarbeiter (MA) pro 20.000 Einwohner (EW) und auch die neuen Empfehlungen von 5MA/20.000 EW sind im jetzigen Zeitpunkt völlig utopisch. Hier spielen fehlende finanzielle Attraktivität des amtsärztlichen Dienstes gegenüber anderen Tarifverträgen auch eine große Rolle.

Auch der Stellenwert des Arbeitsschutzes muss wieder deutlich erhöht werden. Der tbb forderte bereits im Februar 2020 in seinem Forderungspapier an die Landesregierung auf, den Arbeits- und Gesundheitsschutz in Thüringen an die Veränderungen im berufsalltag anzupassen, um die Gesundheit der Berufstätigen wirksam schützen und langfristig erhalten zu können. Rechtliche Vorgaben allein garantieren keinen guten Arbeits- und Gesundheitsschutz. Vielmehr hängt die Wirksamkeit der Vorschriften von deren tatsächlicher Umsetzung ab, hierzu gehören potenzielle Sanktionen. Damit das Thema von der Arbeitgeberseite ernst genommen wird, bedarf es wirksamer Kontrollen in den Dienststellen und Betrieben.

Ausbildung im Öffentlichen Dienst:

Nach derzeitiger Einschätzung des tbb muss der öffentliche Dienst ab dem Jahr 2021 seinen Ausbildungskapazitäten massiv erhöhen. Die Zahlen aus der privaten Wirtschaft lassen befürchten, dass die Ausbildungskapazitäten in diesem Bereich sinken werden. Thüringen liegt mit 3,8 % Anteil der Abzubildenden am Anteil der Gesamtbeschäftigtenanzahl abgeschlagen auf dem letzten Platz im Bundesvergleich. Wir müssen in die Fort- und Ausbildung massiv investieren. Ohne Not und ohne Weitsicht hat Thüringen in den letzten Jahrzehnten ganze Ausbildungszweige komplett abgeschafft und heute suchen wir händeringend nach Fachpersonal. Wege wie das duale geförderte Studium, Erhöhung der Ausbildungszahlen sind nur ein Schritt in die richtige Richtung.

Kinderbetreuung:

Einheitlich in den Ländern ist, dass Schulen und Kindertagesstätten geschlossen werden mussten und dass deswegen Kinder zu Hause in der Regel von ihren Eltern betreut werden müssen. Welche Regelungen es dann z.B. für die angestellte oder verbeamtete alleinerziehende Eltern gibt, die nicht im Homeoffice arbeiten, wegen der Notwendigkeit der Kinderbetreuung aber nicht zur Arbeit gehen kann, fällt z.B. in Schleswig-Holstein erheblich günstiger für diese Eltern aus als in Thüringen. Neben der Notbetreuung für Kinder, deren Eltern in sog. systemkritischen Berufen arbeiten, bestand in Thüringen für die Tarifbeschäftigten und Beamten im öffentlichen Dienst bislang die Möglichkeit von 3 Tagen Sonderurlaub, wenn wegen der Schließung der Betreuungseinrichtungen, die Eltern zu Hause bleiben mussten. Die Regierung hat zudem per Kabinettsbeschluss festgelegt, dass diese Personengruppe bis zu 20 Tage das Gleitzeitkonto ins Minus fahren darf. Diese Regelung kritisierte der tbb als wirklichlichkeitsfremd, da es kaum möglich sein dürfte, diese Minusstunden sozialverträglich in einem verträglichen Rahmen wieder auszugleichen. Glücklicherweise haben einige Ministerien für ihren Bereich weitergehende mitarbeiterfreundlichere Lösungen gefunden. Andere leider nicht. Mit der letzten Änderung des Infektionsschutzgesetz wurde auch eine Verdienstausfallentschädigung für Eltern, die wegen Kinderbetreuung nicht (auch nicht im Homeoffice) arbeiten können, geschaffen. Der tbb hat sich für eine schnelle elternfreundliche Umsetzung für den öffentlichen Dienst in Thüringen eingesetzt. Die Einbindung des tbb in die Suche von Lösungen erfolgte in den letzten Wochen – pandemiebedingt – nicht wie gewohnt, dies sollte sich angesichts der sich teilweise beruhigenden Lage auch wieder verbessern. Eine Erweiterung der Notbetreuung für Kinder von Eltern mit weiteren systemrelevanten Berufsgruppen, möchten wir unterstützen.

Personalvertretungen/Personalrat:

Diese sollten gesetzte Mitglieder der Krisenstäbe sein, damit eine Einbindung von Anfang an gewährleistet ist. Leider wurden weder alle Personalvertretungen, noch die Gewerkschaften im Krisenmanagement durch Informationen eingebunden. Die Informationsweitergabe war/ist mehr als mangelhaft. Wir müssen wieder zu einer Beteiligungsform kommen, wie vor Corona.

Tarifverhandlungen 2020 im TVöD:

Dieses Jahr ist besonderes Feingefühl bei den Forderungen gefragt, wenn möglich, wird eine Verschiebung auf das nächste Jahr angestrebt. Der dbb / tbb wird Lösungen finden, die eine Abwägung aller Interessen berücksichtigt.

Ausblick:

Wir können ängstlich oder optimistisch durch die Krise gehen. Eines jedoch ist Fakt! Der Staat hat sich als stabilisierender Faktor erwiesen. Der Bürger kann sich auf den Staat verlassen. Wenn man der Pandemie überhaupt etwas Gutes abgewinnen kann, dann ist es, dass die Digitalisierung einen notwendigen Anstoß bekommen hat. Der tbb kann sich nur bei jeder einzelnen Mitarbeiterin, jedem einzelnen Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes bedanken, die alle dafür sorgen, dass unser Staat trotz der erheblichen Einschränkungen weiter funktioniert. Ob im medizinischen und sozialen Bereich, im Bereich Sicherheit und Ordnung – auf der Straße und im Justizvollzug –, in den Krisenstäben, in der Bundesagentur für Arbeit, in Bundes- und Landesministerien, Kreis- und Kommunalverwaltungen, Kitas und Schulen, im Bankensektor und in Gerichten und Behörden, die vielleicht bisher noch nicht in unserem Bewusstsein waren, ihnen allen gilt unser aller Dank. Diese Pandemie zeigt deutlich auf, dass ein starker öffentlicher Dienst in Krisenzeiten die Lebensversicherung für unseren Staat und die Menschen darin ist. Lassen Sie uns die guten Aspekte auch in die Normalität mitnehmen und gemeinsam dafür sorgen, dass die Geschwindigkeiten, die jetzt aufgenommen werden, zu neuen Wegen asphaltiert und dauerhaft zu festen Straßen und Eckpfeilern einmünden.

Bleiben Sie und Ihre Familie gesund.

Ihre tbb Landesleitung

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