Amtsangemessene Alimentation
Wieso? Weshalb? Warum?
Die parlamentarische Sommerpause und damit auch die Anhörungsfrist zum Entwurf eines Thüringer Gesetzes zur Gewährung einer verfassungsgemäßen Alimentation gegenüber dem Thüringer Landtag/ Haushalts- u. Finanzausschuss (HuFa) ist vorbei. In gewohnter Weise haben wir Stellung bezogen und dafür auch auf das Gutachten von Prof. Dr.Dr. hc. Ulrich Battis Bezug genommen. Beides veröffentlichen wir im Anhang. Uns ist es darüber hinaus eine Bedürfnis, Ihnen einen Einblick in unsere Gedanken zu gewähren: Wieso? Weshalb? Warum machen wir so viel Wind?
Familienzuschlag hoch – warum eigentlich nicht?
Der nun eingeschlagene Weg, der allein den familienbezogenen Besoldungsbestandteil in den Blick nimmt, zementiert aus Sicht des tbb die Tendenz des Besoldungsgesetzgebers, die Alimentation gerade nicht an der verfassungsrechtlich gebotenen Wertigkeit des Amtes anzuknüpfen. Wenn die familienbezogenen Bestandteile so stark ausgeprägt werden, dass sie Differenzen im Grundgehalt zwischen den Beförderungsämtern übersteigen, also Beförderungsstufen nivellieren, belegt dies aus Sicht des tbb die Unteralimentation des Amtes im Bereich der Grundbesoldung an sich.
Streichen wir einfach die unteren Besoldungsgruppen – oder?
Das Alimentationsprinzip verpflichtet den Dienstherrn den Beamten und seine Familie lebenslang angemessen zu alimentieren und ihm nach seinem Dienstrang, nach der mit seinem Amt verbundenen Verantwortung und nach Maßgabe der Bedeutung des Berufsbeamtentums für die Allgemeinheit, entsprechend der Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse und des allgemeinen Lebensstandards, einen angemessenen Unterhalt zu gewähren.
Der Beamte muss über ein Nettoeinkommen verfügen, das seine rechtliche und wirtschaftliche Unabhängigkeit gewährleistet und ihm über die Grundbedürfnisse der Lebenshaltung hinaus im Hinblick auf den allgemeinen Lebensstandard und die allgemeinen Verbrauchs- und Lebensgewohnheiten einen im Ergebnis amtsangemessen Lebenskomfort ermöglicht. Dabei ist die allgemeine wirtschaftliche und finanzielle Entwicklung zu beachten.
Das vorweg. Sagt nun unser oberstes Gericht, das BVerfG, dass dabei der Ausgangspunkt der Besoldung 115% über dem Grundsicherungsniveau liegen muss, kann es nach unserer Auffassung nicht richtig sein, wenn der Thüringer Gesetzgeber als unterste Besoldung vom mittleren Dienst ausgeht. Wer die Messlatte bei dem mittleren Dienst ansetzt, verkennt, dass auch Menschen im mittleren Dienst eine mindestens 2jährige Berufsausbildung erfolgreich durchlaufen haben und damit eine höhere Qualifikation haben. Spätestens wenn alle anderen Bundesländer und der Bund ihre Besoldungsgesetze angepasst und als Ausgangspunkt den einfachen Dienst bestimmt haben, wird die Besoldung in Thüringen wieder im Quervergleich der anderen Länder als verfassungswidrig zu gering bemessen sein.
Thüringen hat die Besoldung des einfachen Dienstes nach A4/A5 bereits Mitte 2015 gestrichen und alle Beamten des einfachen Dienstes forthin nach A6 besoldet. Dies geschah, weil bereits zu diesem Zeitpunkt erkannt wurde, dass die Besoldung für den einfachen Dienst nicht ausreichend ist. Dies betraf zu diesem Zeitpunkt alle Kolleginnen und Kollegen im Justizwachtmeisterdienst. Dies tat man entgegen der Auffassung des tbb, die besoldungsrechtlichen Differenzierungs- und Beförderungsmöglichkeiten und den Abstand zum mittleren Dienst abzuschaffen. Dieser „Makel“ wirkt jedoch nach wie vor fort und bedarf auch weiterhin einer Korrektur. Auch hier wird ein Verfassungsgericht feststellen müssen, ob durch die Streichung der unteren Besoldungsgruppen ohne Neueinordnung des ehemals einfachen Dienstes nicht ein Eingriff in die Strukturprinzipien des Beamtentums erfolgt ist. Auch das wäre wiederum ein Verfassungsbruch.
Jetzt zu schlussfolgern, dass die Tätigkeiten unterhalb des ehemals einfachen Dienstes künftig nur noch von Tarifbeschäftigten oder Leihkräften auszuüben sind, entspricht definitiv nicht unserer gewerkschaftlichen Auffassung eines Sozialstaats. Hier sollte sich der Dienstherr sowohl seiner Rolle als Tarifpartner, als auch als derjenige Gesetzgeber sehen, der für die Höhe eines Mindestlohns zuständig ist.
Ein Kollege im Forum Öffentlicher Dienst bemerkte dazu recht treffend: „Nur weil es dem Gesetzgeber in der Vergangenheit nicht gelungen ist, hier eine entsprechende Regelung durch einen angemessenen Mindestlohn für alle zu schaffen, bedeutet das nicht im Umkehrschluss, dass einfache Tätigkeiten eines Beamten so schlecht alimentiert werden dürfen, dass auch er oder sie auf ergänzende, staatliche Hilfe angewiesen ist.“
Und als letztes – weg mit dem lästigen Leistungsprinzip?
Das Leistungsprinzip zählt ebenfalls zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums im Sinne von Art. 33 Abs. 5 GG. Es umfasst in erster Linie das bekannte Prinzip der Bestenauslese, wie es ausdrücklich in Art. 33 Abs. 2 GG verankert ist. Darin erschöpft sich das Leistungsprinzip jedoch nicht. Zu seinem wesentlichen Inhalt gehört die Anerkennung und rechtliche Absicherung des Beförderungserfolgs, den der Beamte bei der Bestenauslese aufgrund von Eignung, Befähigung und Leistung erlangt hat (vgl. BVerfGE 145, 1 <10 Rn. 19>; 145, 304 <326 f. Rn. 69>). Mit der Übertragung des neuen Amtes wird ein beförderter Beamter aus der Gruppe derjenigen herausgehoben, die vorher mit ihm das gleiche, geringer eingestufte Amt innehatten. Die damit verbundene höhere besoldungsrechtliche Einstufung bringt, wie die Beförderung selbst, die förmliche besondere Anerkennung der Befähigung und Leistung des Beförderten zum Ausdruck (vgl. BVerfGE 64, 367 <380>; 117, 372 <382>). Wegen dieses Gebots zur besoldungsrechtlichen Anerkennung des Beförderungserfolgs ist das Besoldungsrecht mittelbar leistungsbezogen (vgl. BVerfGE 130, 263 <296>). Auch der Aufstieg in Erfahrungsstufen ist Ausfluss des Leistungsprinzips.
Wie man bereits dieser Aufzählung entnehmen kann, weißt der aktuelle Gesetzentwurf der Landesregierung zur Herstellung einer amtsangemessenen Alimentation in großen Zügen eine Fortsetzung der bereits begonnenen Missachtung des Leistungsprinzips in der Besoldung auf: 2015 wurden bereits die Beförderungsämter im einfachen Dienst gekippt. Nunmehr streicht man wiederum Erfahrungsstufen in A 6 und A 7 ohne Ersatz. Durch die im Verhältnis zur Grundbesoldung betrachtete enorme Erhöhung der familienbezogenen Besoldungsbestandteile (Anteil wächst auf 21% gegenüber der Grundbesoldung in einer Besoldung nach A6 und auf 17% in einer A9), steigt man mit der Zahl der Kinder schneller in der Besoldung auf, als durch Erfahrung (2 Kinder in A6 Stufe 2 geben einen Vorteil von 38 Jahren oder eine vergleichbare Besoldung nach A8 St. 8) respektive Beförderung.
Die bisherige Rechtsprechung des BVerfG zeigt die Tendenz, Alimentations- und Leistungsprinzip im Gleichgewicht zu halten. In Thüringen wird spätestens nach In-Kraft-Treten des jetzigen Gesetzentwurfs das Leistungsprinzip zu Gunsten des Alimentationsprinzips aufgegeben.
Wenn der Besoldungsgesetzgeber nicht handelt - Warum streiken wir nicht einfach?
Was hat die Alimentation der Beamten mit einem Eisenbahnerstreik zu tun? Ein Streik der Eisenbahner war es, der vor 99 Jahren die in der Anfangszeit der Weimarer Republik umstrittene Frage der Zulässigkeit von Beamtenstreiks im Jahr 1922 klärte: Durch die auf Art. 48 II WRV gestützte Notverordnung vom 1. Februar 1922 (RGBl I S. 187) verbot der Reichspräsident den Beamten der Reichsbahn ebenso wie allen übrigen Beamten, die Arbeit einzustellen oder zu verweigern. Die Notverordnung wurde am 9. Februar 1922 aufgehoben. In der Folgezeit bestätigten Reichsgericht und Reichsdisziplinarhof das Verbot, weil Beamte zum Staat in einem öffentlich-rechtlichen Gewaltverhältnis stünden. Daher seien sie in besonderer Weise zu Treue, Gehorsam und gewissenhafter Aufgabenerfüllung verpflichtet (zum Ganzen: Krause, Rechtshistorische Reihe – 357 -, Die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums, 2008, S. 36 ff.).
Das Verbot gilt für alle Beamten gleichermaßen. Es knüpft wie das beamtenrechtliche Regelwerk in seiner Gesamtheit nicht an den Einsatz- und Aufgabenbereich der Beamten, sondern an den Beamtenstatus an. Dies gilt ungeachtet des Umstands, dass die Dienstherrn außerhalb der Bereiche der hoheitlichen Verwaltung, die nach Art. 33 IV GG in der Regel Beamten vorbehalten sind, von Verfassungswegen nicht gehindert sind, nach politischen und fiskalischen Gesichtspunkten zu entscheiden, ob sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben Beamte oder Tarifbeschäftigte einsetzen (BVerfG, Beschluss vom 19. September 2007 a.a.O. S. 267; Urteil vom 14. Februar 2012 – 2 BvL 4/10 – BVerfGE 130, 263 <297 f.>).
Hintergrund der Ausführungen
Mit Beschlüssen vom 4. Mai 2020 zur amtsangemessenen Alimentation der Richterbesoldung des Landes Berlin und zur amtsangemessenen Ausgestaltung des Familienzuschlags für dritte und weitere Kinder von Richterinnen und Richtern des Landes Nordrhein-Westfalen hat das Bundesverfassungsgericht seine bereits 2015 aufgestellten Leitlinien zur Bestimmung einer amtsangemessenen Alimentation konkretisiert und den besonderen Aspekt des Abstandsgebotes zur sozialen Grundsicherung erhärtet. Dieser Mindestabstand wird unterschritten, wenn die Nettoalimentation (unter Berücksichtigung der familienbezogenen Besoldungsbestandteile und des Kindergelds) um weniger als 15 Prozent über dem Grundsicherungsniveau liegt. Maßstab ist der Nettovergleich für eine vierköpfige Familie (2 Erwachsene und 2 Kinder). Auch mit Bezug auf dritte und weitere Kinder hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass die bisherige Besoldung nicht ausreichend ist. Ab dem dritten Kind muss für jedes zusätzliche Kind ein Betrag gewährt werden, der mindestens 115 Prozent des durchschnittlichen sozialhilferechtlichen Gesamtbedarfs eines Kindes ausmacht. Aus diesen Urteilen ergibt sich auch für Thüringen Handlungsbedarf.