11. Dezember 2020

Amtsangemessene Alimentation

TFM bestätigt Verfassungswidrigkeit | Tausende Anträge bei LFD eingegangen

Die Verfassungswidrigkeit der Besoldung der Thüringer Beamten- und Richterschaft wurde seitens des Landesregierung und diese vertreten durch das Finanzministerium (TFM) explizit bestätigt.

 

So geschehen in der Anhörung vor dem Petitionsausschuss des Thüringer Landtages am 26.11.2020 sowie vor dem Haushalts- und Finanzausschuss am 16.11.2020. Zwischenzeitlich gibt es sogar ein Schreiben des TFM an die Obersten Landesbehörden heißt es dazu explizit: „Erste vorläufige Berechnungen des TFM für das Jahr 2020 haben ergeben, dass die verfügbare Netto-Alimentation für die als Bezugsgröße heranzuziehende vierköpfige Alleinverdienerfamilie in der Besoldungsgruppe A 6 Stufe 1 unter dem gebotenen Mindestabstand zur Grundsicherung von 115 % liegt. Entsprechendes gilt hinsichtlich des Familienzuschlags für das 3. und für folgende Kinder.“

Tausende Anträge bei LFD eingegangen

Nach Rücksprache mit der Landesfinanzdirektion (LFD) sind allein von Seiten der Landesbeamten tausende Widersprüche bzw. Anträge auf amtsangemessene Alimentation eingegangen. Bedauerlicherweise werden daher die Eingangsbestätigungen erst im Januar versandt werden können. Der tbb hat auf Bitte der LFD seinen Musterantrag angepasst und um die Dienststellennummer ergänzt. Dies erleichtert den Kolleginnen und Kollegen in der Bearbeitung die Zuordnung.

Amtsangemessene Alimentation

Gesetzesänderung für Januar 2021 angekündigt

Der tbb konnte einem Schreiben des Thüringer Finanzministeriums an die Obersten Landesbehörden entnehmen, dass eine Gesetzesänderung zum Thüringer Besoldungsgesetz geplant ist. Aktuell geht die Tendenz aus dem Thüringer Finanzministeriums dahingehend, die Kinderzuschläge ab dem 1. Kind anzuheben (ab dem 3. massiv). Ein dementsprechender Entwurf sei geplant und für Anfang des Jahres 2021 angekündigt.

Erfolg des tbb – Rückwirkung zum 1.1.2020

Als positiv bewerten wir an der Ankündigung, die Änderung wie vom tbb gefordert rückwirkend zum 1.1.2020 in Kraft treten zu lassen.

Bewertung tbb Anhebung Kinderzuschläge

Äußerst kritisch sehen wir jedoch das Vorhaben, allein mit einer Anhebung der Kinderzuschläge den Zustand der Verfassungswidrigkeit der Besoldung beseitigen zu wollen.

Für die Frage der Verfassungswidrigkeit der eigenen Besoldung ist es unerheblich, ob der einzelne Beamte oder Richter unterhaltspflichtige Kinder hat oder nicht, da neben der absoluten Besoldungsuntergrenze auch die relative Besoldungsuntergrenze und weitere Prüfstufen zu beachten sind. Die Verletzung der absoluten Besoldungsuntergrenze liegt vor, wenn Abstand zur Grundsicherung (Hartz IV/Sozialhilfe) weniger als 15 % beträgt. Als Vergleichsgröße wird vom Bundesverfassungsgericht eine vierköpfige Familie betrachtet. Dies ist auch sachgerecht und nichts anderes als der verfassungsrechtliche Ausdruck lebenspraktischer Vernunft. Die Grundsicherung wird voraussetzungslos und auf Lebenszeit gewährt. Jede Beamtenfamilie, deren Alleinverdiener dem Staat vollzeitig seinen Dienst leistet, muss besser dastehen als eine vergleichbare Hartz-IV Familie. Für die höheren Besoldungsgruppen stellt das BVerfG klar: „Wird bei der zur Prüfung gestellten Besoldungsgruppe der Mindestabstand zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht eingehalten, liegt allein hierin eine Verletzung des Alimentationsprinzips. … Eine Verletzung des Mindestabstandsgebots betrifft aber insofern das gesamte Besoldungsgefüge, als sich der vom Besoldungsgesetzgeber selbst gesetzte Ausgangspunkt für die Besoldungsstaffelung als fehlerhaft erweist. Das für das Verhältnis zwischen den Besoldungsgruppen geltende Abstandsgebot zwingt den Gesetzgeber dazu, bei der Ausgestaltung der Besoldung ein Gesamtkonzept zu verfolgen, das die Besoldungsgruppen und Besoldungsordnungen zueinander in Verhältnis setzt und abhängig voneinander aufbaut. Erweist sich die Grundlage dieses Gesamtkonzepts als verfassungswidrig, weil für die unterste(n) Besoldungsgruppe(n) die Anforderungen des Mindestabstandsgebots missachtet wurden, wird der Ausgangspunkt für die darauf aufbauende Stufung in Frage gestellt (BVerfGE  2 BvL 4/18 Rn. 48).“

Fazit: Neue Besoldungssystematik benötigt

Ist dieses Prinzip des Mindestabstandsgebots zur Grundsicherung wie in Thüringen verletzt, ist der Besoldungsgesetzgeber verpflichtet, eine neue konsistente Besoldungssystematik mit anderen Ausgangspunkt zu bestimmen (so auch BVerfG).

Eine bloße Anpassung des Familienzuschlags - und damit eine Beschränkung auf Beamte und Richter mit unterhaltspflichtigen Kindern - genügt diesem Anspruch nach unserer Auffassung nicht.

Bei bloßer Anhebung der Kinderzuschläge wird vielleicht die Verfassungsmäßigkeit gegenüber Beamtenfamilien mit Kindern hergestellt, doch die vom BVerfG am Beispiel der Berliner Richter kritisierten Einstiegsgehälter blieben weiterhin nicht konkurrenzfähig. Berufsanfänger sind im Schnitt weder verheiratet noch haben sie 2 Kinder. Fakt ist, dass wir auch im Freistaat Thüringen eine Absenkung der Einstellungsbedingungen – auffallend vor allem bei Richtern und technischem Personal – feststellen müssen. Damit wäre die ebenfalls vom BVerfG geforderte Qualitätssicherung bei Einstellungen nicht mehr erreicht. Aber auch für Unverheiratete und/oder Kinderlose wäre die Besoldung in bestimmten Berufen nicht mehr akzeptabel.

Qualitätssicherung der Besoldung gefährdet

Des Weiteren sind bei der Frage der Verfassungswidrigkeit der besoldungsrechtlichen Regelungen nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichtes neben dem Abstandsgebot zur Grundsicherung noch weitere Parameter zu beachten (Nominallohnentwicklung, Tarifentwicklung im ö. D., Preisentwicklung, Abstandsvergleich der Besoldungsgruppen untereinander sowie der Besoldungsvergleich zwischen den Ländern und dem Bund). Bei diesen Parametern spielt der Familienzuschlag keine Rolle. Aktuell sind in Thüringen mindestens zwei weitere Parameter sehr deutlich verletzt (Indexwerte bezüglich des Vergleich der Besoldungsentwicklung zur Nominallohn- und Tarifentwicklung).

In weiteren Prüfstufe des Bundesverfassungsgerichtes werden die ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge mit den Verdiensten in der Privatwirtschaft von sozialversicherungspflichtig Beschäftigten mit vergleichbarer Qualifikation verglichen. Auch hier zeigen Statistiken, dass dies durchaus zugunsten der Privatwirtschaft ausgeht.

Insoweit würde die alleinige Anpassung des Familienzuschlags, als der vom Thüringer Finanzministerium im Rahmen der Anhörung zum Petitionsverfahren E-129/19 „preiswertesten“ Lösung zur Beseitigung des verfassungswidrigen Zustandes der Thüringer Besoldung, nach unserer Auffassung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht ausreichend Rechnung tragen.

Es sei daher jedem Beamten und Richter angeraten, noch vor dem 31.12.2020 Widerspruch gegen seine Dienstbezüge einzulegen. Der tbb berichtete.

 

Musterantrag TLF

Musterantrag allgemein

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