Warum wir als tbb Klagen führen und auch Ihnen das empfehlen

Der tbb hält das im November 2021 verabschiedete Gesetz zur Gewährleistung einer verfassungsgemäßen Alimentation trotz und gerade wegen der unverhältnismäßig hohen Anhebung der Familienzuschläge für nicht mit den Vorgaben des BVerfG zu einer amtsangemessenen Alimentation vereinbar.

Der tbb vertritt die Auffassung, dass mit den von der Landesregierung im Gesetzentwurf vorgeschlagenen Maßnahmen (Streichung der Stufe 1 in A 6 und A 7, Anhebung des Familienzuschlages für Kind 1 und 2) allein die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes für eine dem Amte nach angemessene Alimentation nicht eingehalten werden. Vielmehr kommt es zu einem dauerhaften Ungleichgewicht zweier grundrechtsgleicher Rechte, durch die Überbetonung des Alimentations- zu Lasten des Leistungsprinzips, verdeutlicht an folgendem Beispiel: Um den Besoldungs“vorsprung einer/s Kollegin/en in A 6 Stufe 1 mit 2 Kindern “ betragsmäßig einzuholen, muss ein in A 6 eingruppierte/r Beamtin/er ganze 34 Jahre arbeiten. Eine verfassungsgemäße Besoldung wird nicht lediglich mittels Detailanpassungen bei den unteren Besoldungsgruppen und Familienzuschlägen erreicht. Die Besoldung muss unabhängig von Familienstand und Kinderzahl im Grundsatz vorrangig dem Amte nach angemessen sein und der/dem Empfänger/in einen angemessenen Lebensstandard bieten. Zur Vermeidung besoldungsinterner Verwerfungen müssen Grundbesoldung und Familien- und/oder sonstige Zuschläge in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen.

Die Notwendigkeit der Einleitung gerichtlicher Schritte durch Übernahme der Kosten von ausgewählten Klagen von Mitgliedern der Fachgewerkschaften steht für uns und unsere 34 Fachgewerkschaften auf Landes-, Kommunal- und Bundesebene außer Frage und führte nach einem Beschluss unseres zweithöchsten Gremiums in tbb Landeshauptvorstand im Oktober 2021 zu einer außergewöhnlichen solidarischen Unterstützung aller unserer 34 Fachgewerkschaften.

Zwei gutachterliche Stellungnahmen des wissenschaftlichen Dienstes des Thüringer Landtags sowie des renommierten Prof. Dr. Dr. hc. Ulrich Battis stützen unsere Rechtsauffassung und geben uns die Zuversicht, eines für uns positiven Klageausgangs (beide finden Sie als Mitglieder im internen Bereich unserer Homepage).

Folgende Gründe haben im tbb und seinen Fachgewerkschaften dazu geführt, den Klageweg bestreiten zu wollen:

 

1.

Das Thüringer Gesetz zur Gewährleistung einer verfassungsgemäßen Alimentation vermag es nicht, die Verletzung des Abstandsgebots der Besoldungsgruppen im Verhältnis zur unteren Besoldungsgruppe zu beseitigen.

Eine Überprüfung der Abstände der Besoldungsgruppen des mittleren, gehobenen und höheren Dienstes sowie der Besoldungsordnungen B, R und W zur jeweils untersten Besoldung ergibt eine fast durchgehende Verletzung des notwendigen Abstands von mehr als 5% innerhalb eines 5 Jahres Zeitraumes bis zum Jahr 2020. Dies ist maßgeblich auf die Abschaffung des einfachen Dienstes zurückzuführen, die sich in der Besoldung ab September 2015 auswirkt. So hat sich der Abstand des Endgrundgehaltes im Verhältnis zum Endgrundgehalt der jeweils untersten Besoldungsgruppe im Betrachtungszeitraum 2011-2016 im Minimum um 13,75% in der Spitze um 49,00% verändert. Vergleichbare Werte gab es im Betrachtungszeitraum 2015 bis 2020.

Zulässig wäre nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht eine Veränderung innerhalb eines Zeitraums von 10 Jahren um nicht mehr als 5%.

Die Überbetonung des Familienzuschlags führt zudem zu einer Vertiefung der Verletzung des verfassungsrechtlich garantieren Abstandsgebots (Art. 33 Abs. 5 GG) der Besoldungsgruppen untereinander.

In Thüringen haben wir zudem die Besonderheit, dass bereits 2015 der einfache Dienst abgeschafft wurde und seitdem das Abstandsgebot zum mittleren Dienst etc. verletzt ist.

 

2.

Die mit dem Gesetz vorgenommene massive Anhebung der kinderbezogenen Besoldungsbestandteile (Familienzuschlag) für das erste und zweite Kind führt dahin, dass sich der Charakter der Familien“zuschlags“ im Verhältnis zur Grundbesoldung sich hin zu einer Nebenbesoldung entwickelt und damit nicht mehr dem vom BVerfG entwickelten Vorstellungen zum Charakter des Familienzuschlags als „die Grundbesoldung ergänzend“ entspräche.

So würde der Familienzuschlag in der A6 Stufe 9 21% (bislang 13%), in A9 Stufe 11 17% (11%) und A13 St.12 12% (7%) der Gesamtbruttobesoldung betragen. Übersetzt heißt dies, dass für die unterste Besoldungsgruppe A 6 die Familienbezogenen Besoldungsbestandteile mehr als ein Fünftel der Gesamtbesoldung ausmachen. Das BVerfG geht jedoch von einem Bild der vierköpfigen Beamtenfamilie aus, wonach der Kindesunterhalt für das erste und zweite Kind „ganz überwiegend aus den allgemeinen, d. h. "familienneutralen" und insoweit auch ausreichenden Gehaltsbestandteilen bestritten werden kann und die kinderbezogenen Gehaltsbestandteile ergänzend hinzutreten (BVerfGE 44, 249 Rn. 65)“.

Darüber hinaus betrachtet das Bundesverfassungsgericht die Ausgestaltung der Zulagen zur Beamtenbesoldung als eine Detailregelung, die keinen zwingenden Bezug zur Angemessenheit der Alimentation aufweist.207 Von daher geht es regelmäßig davon aus, dass solange, wie eine amtsangemessene Alimentation vorliegt, der Kindesunterhalt einer Familie mit einem oder zwei Kindern ganz überwiegend aus den allgemeinen, d.h. „familienneutralen“ Gehaltsbestandteilen bestritten werden kann, weshalb die hinzutretenden kinderbezogenen Gehaltsbestandteile erheblich unterhalb der Beträge bleiben können, die die Rechtsordnung als Regelsätze für den Kindesunterhalt als angemessen erachtet und veranschlagt.208 Die familienbezogenen Zuschläge einschließlich des Kindergelds können darum den zusätzlichen Bedarf, der der Beamtenfamilie beim ersten und zweiten Kind erwächst, nicht annähernd ausgleichen, weshalb es mit der Verfassung im Einklang steht, dass so-
wohl unverheiratete als auch verheiratete kinderlose Beamte sich regelmäßig einen teils deutlich großzügigeren Lebenszuschnitt leisten können als Beamte mit einem oder mit zwei Kindern (BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 22. März 1990 – 2 BvL 1/86 –, Rn. 48).
Denn dem Beamten mit einem oder zwei Kindern ist es dennoch möglich, solange die realitätsgerecht ermittelte Alimentation amtsangemessen ist, sich neben den Grundbedürfnissen auch ein „Minimum an Lebenskomfort“ leisten zu können und gleichzeitig die Unterhaltspflicht gegenüber seiner Familie zu erfüllen (BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 24. November 1998 – 2 BvL 26/91 –, Rn. 35 f. i.V.m Rn. 38).

Von daher geht das Bundesverfassungsgericht aktuell weiterhin davon aus, dass das Grundgehalt von vornherein so bemessen wird, dass eine bis zu vierköpfige Familie – zusammen mit den Familienzuschlägen für den Ehepartner und die ersten beiden Kinder – amtsangemessen unterhalten werden kann.

Die Familienzuschläge müssen also der Natur ihre Sache nach entsprechend als Zulagen erkennbar und von daher eine Detailregelung bleiben.

Davon scheint auch der dbb/ der Beamtenbereich des dbb auszugehen, "dass aus Kosten- und Vereinfachungsgründen unter Ausnutzung des weiten Gestaltungsspielraums mehr oder weniger ausschließlich eine Fokussierung auf den kinderbezogenen Familienzuschlag als 'der richtige und rechtlich zulässige Weg' zur Umsetzung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts beschritten wird, [...] nicht nur unter dem Leistungsgedanken zumindest überdacht werden" müsse (ZBR 2022, S. 153 f.).

Die übermäßige Betonung eines Besoldungselements, welches nahezu ausschließlich an die Kinderzahl anknüpft, ist insbesondere auch deshalb nicht der richtige Weg, da es Alleinstehende ganz und Verheiratete in der weit überwiegenden Anzahl der Fälle ausschließt.

Ungewollt Kinderlose, gleichgeschlechtlich Lebende und zusammenfassend Adoptionswillige wären hiervon ungleich härter betroffen, da sie ein sicheres Einkommen und ausreichenden Wohnraum für eine potenzielle Familie nachweisen müssen. Der Beamte sollte nach dem Grundsatzgedanken der amtsangemessenen Alimentation jedoch nicht in seiner Entscheidung zur Familiengründung von seiner Besoldung abhängig sein. Das sah auch das BVerfG (Beschluss vom 22.03.1990 - 2 BvL 1/86 Rn. 56) so: „Dem lag die Annahme zugrunde, der Besoldungsgesetzgeber habe das Beamtengehalt in seinen familienneutralen Bestandteilen von vornherein grundsätzlich so bemessen, dass -- vor allem auch im Blick darauf, dass der Beurteilung der Amtsangemessenheit das Nettoeinkommen des Beamten zugrunde zu legen ist -- überwiegend davon eine bis zu vierköpfige Familie amtsangemessen unterhalten werden kann. Diese Entscheidung des Gesetzgebers ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, mag sie auch zur Folge haben, dass der (noch) unverheiratete und der verheiratete (noch) kinderlose Beamte sich auf diese Weise regelmäßig einen -- teils deutlich großzügigeren Lebenszuschnitt leisten können als der Beamte mit einem oder mit zwei Kindern; denn diejenigen Zuschläge, einschließlich des Kindergeldes, um die sich die Bezüge des Beamten beim ersten und zweiten Kind erhöhen, sind nicht geeignet, den zusätzlichen Bedarf, der der Beamtenfamilie beim ersten und zweiten Kind erwächst, auch nur annähernd auszugleichen.“

Die Bezüge sind so zu bemessen, dass Beamte der gleichen Besoldungsstufe sich in der Lebenswirklichkeit ohne Rücksicht auf die Größe der Familie annähernd das Gleiche leisten können muss (vgl. BVerfGE 44, 249, 267; 81, 363, 376).“

 

3.

Um die Besoldung verfassungsgerecht auszugestalten, dürfen nicht allein fiskalische Gesichtspunkte und das Bemühen, Ausgaben zu sparen, im Mittelpunkt stehen. Das TFM hat mit der Entscheidung, die Familienzuschläge anzuheben jedoch die offensichtlich kostengünstigste Lösung gewählt und nicht die verfassungsrechtlich gebotene.

„Die vom Dienstherrn nach Maßgabe der Verfassung geschuldete Alimentierung ist nicht eine dem Umfang nach beliebig variable Größe, die sich einfach nach den "wirtschaftlichen Möglichkeiten" der öffentlichen Hand oder nach den politischen Dringlichkeitsbewertungen hinsichtlich der verschiedenen vom Staat zu erfüllenden Aufgaben oder nach dem Umfang der Bemühungen um Verwirklichung des allgemeinen Sozialstaatsprinzips bemessen lässt (BVerfG, 30.03.1977 - 2 BvR 1039/75, 2 BvR 1045/75 Rn. 50).“Aus der Präsentation des TFM ist sehr offensichtlich erkennbar, dass sich der Besoldungsgesetzgeber nicht vorrangig an dem Ziel der Herstellung einer verfassungsgemäßen Besoldung orientiert hat, sondern vorrangig an der Herstellung der kostengünstigsten Lösung über die Anhebung der Familienzuschläge.

Aus dem protokollierten Vortrag des TFM Vertreters vor dem Petitionsausschuss (Ergebnisprotokoll, 11. Sitzung am 26. November 2020, S. 16) kann man Folgendes entnehmen:

„Zur Heilung des verfassungswidrigen Besoldungsabstands zur Grundsicherung habe man sich im TFM mit verschiedenen Lösungsmöglichkeiten befasst. Bei der Option des Familienzuschlags, bezogen auf das zweite Kind, würden sich geschätzte Kosten von 25Mio. Euro ergeben. Mit Ausgaben von 36,5 Mio. Euro sei zu rechnen, wenn der Familienzuschlag auf das erste und zweite Kind verteilt würde. Bei der Erwägung einer Option im Bereich des Grundgehalts müsse das Abstandsgebot beachtet werden. Fehlten bspw. 320Euro in der BesoldungsgruppeA6 Stufe1 und würde das Grundgehalt um diesen Betrag ergänzt werden, müssten alle anderen Besoldungsgruppen um den Prozentsatz dieses Betrags ebenfalls erhöht werden. Diese Variante würde Kosten von ca. 265 Mio. Euro im Jahr erzeugen und stelle die teuerste Option dar. Die Einführung von einer jährlichen Sonderzahlung in Höhe von 50 Prozent eines Monatsgehalts sei ebenfalls denkbar und koste zwischen 80 und 82 Mio. Euro im Jahr, und ein 13. Monatsgehalt hätte Kosten von ca. 160 Mio. Euro zur Folge.“

Diese Alternativen finden in den Ausführungen zum Gesetzentwurf keine Erwähnung. Es ist keine inhaltliche und folgenabschätzende Auseinandersetzung mit diesen Möglichkeiten erfolgt, die zumindest teilweise geeignet gewesen wären, der bislang vom tbb aufgeführten Kritik zu entgehen.

 

4.

Das vom tbb in Auftrag gegebene Gutachten des Prof. Dr. Dr. hc. Ulrich Battis bescheinigt zudem, dass der Gesetzgeber seinen verfassungsgemäßen Gestaltungsauftrag verkennt zudem verletze das Gesetz das Prozeduralisierungsgebot.

Die im Gesetz zugrunde gelegten Werte bewegen sich gerade mal an der Untergrenze zur evidenten Verfassungswidrigkeit. Der Gesetzgeber hat sich zwar enorme Mühe in der Berechnung und Darstellung seiner Berechnungsgrundlagen gegeben, jedoch dabei seinen eigenen Gestaltungsspielraum dabei gar nicht erkennbar bedacht und begründet.

 

5.

Zudem bleiben trotz der Nachzahlungen im Gesetz die Parameter 1 (Entwicklung im Vergleich zu den Tariflöhnen) und 2 (Entwicklung im Vergleich zum Nominallohnindex) signifikant (das heißt mit einer Differenz von mehr als 5%) verletzt.

Im Vergleich zur Tariflohnentwicklung hinkt die Besoldung im Betrachtungszeitraum über 15 Jahre ab dem Jahr 2004 mit mehr als 5% hinterher. Im Vergleich zur Entwicklung der Nominallöhne (das tatsächlich in € gezahlte Entgelt für geleistete Arbeit) sind es mehr als 14%, die die Besoldung zurücksteht.

In Thüringen kommt zudem noch hinzu, dass der Reallohnindex im Zeitraum von 2007 bis 2020 rund 30 % oberhalb der Realbesoldung liegt. Damit ist Thüringen ein besonders extremes Beispiel.